Deutscher Alltag:Leben am Brett

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Der tiefere Sinn des Bügelns liegt nicht im Glätten der Wäsche, sondern vielmehr im Ansehen von Filmen über Bob Dylan. Bügeln ist quasi eine Meditationstechnik.

Kurt Kister

Das Bügeln gehört neben dem Verzehr von Boquerones zu jenen Tätigkeiten, die einem dabei helfen, der Mitte des Lebens näher zu kommen. Gewiss, es gibt auch bei der Meditationstechnik Bügeln Dinge, die, so wie das Angela Merkel über Sarrazins Buch sagte, wenig hilfreich sind. Ein Spannbetttuch zum Beispiel ist wenig hilfreich, jedenfalls wenn man es auf dem Bügelbrett glattkriegen will. Es kringelt sich wie ein Oktopus und ist zu groß für das Brett. Zwar gibt es Leute, die behaupten, Spannbetttücher müsse man gar nicht bügeln. Aber diese Leute verstehen nichts von der philosophischen Dimension des Bügelns.

Gewiss, es gibt auch bei der Meditationstechnik Bügeln Dinge, die, so wie das Angela Merkel über Sarrazins Buch sagte, wenig hilfreich sind. Doch es hilft, der Mitte des Lebens näherzukommen. (Foto: Getty Images)

Allerdings liegt der tiefere Sinn des Bügelns gar nicht im Glätten der Wäsche. Vielmehr bügelt man, um dabei DVDs anzusehen, die man sonst nicht oder erst im Urlaub in acht Monaten anschauen würde. Bügeln und Glotzen ist eine nützliche Form des Multitasking, die einem zum Beispiel die Kenntnis aller Filme der Coen-Brüder beschert, was einen weiterbringt im Leben. Manchmal geht es einem sogar so, dass man sich wünschte, man hätte mehr zu bügeln, noch zwei Körbe voll, weil etwas Langes, Besonderes im DVD-Spieler läuft. (Nein, bitte keine Bügelwäsche-Angebote an den Autor.)

Jüngst war es so, als man zu einem Korb Bettwäsche und einem Korb heller Hemden Martin Scorseses Doku über Bob Dylan betrachtete. "No Direction Home" dauert mehr als drei Stunden, und wenn man es gesehen hat, weiß man noch besser, dass und warum Dylan zu jenen wenigen Menschen gehört, die eineinhalb Generationen in der westlichen Welt geprägt haben. Man hat mit Dylan Englisch gelernt, nicht dieses The-British-Isles-Schulenglisch, und als man glaubte zu verstehen, was er sang, öffnete sich eine Welt, von der man wusste, dass man in ihr leben wollte, fände man denn nur den Zugang zu ihr. (Leider verschob sich der fast täglich.) In dieser Welt lief man Jim Morrison über den Weg und Allen Ginsberg, Joan Baez, Jack Kerouac und, ja auch, Johnny Cash - lauter Amerikaner, die dafür gesorgt haben, dass man Amerika auf ewig lieben wird, weil sie einem so viele gute Gründe nannten, es auch hassen zu können.

Nichts an Dylan, so wie ihn Scorsese zeigt, ist eindeutig. Er ist kein Mann der Antworten, und doch hat er seine Fragen so gestellt, dass man damals glaubte, es reiche aus, seine Songs zu kennen, um alle Antworten zu bekommen. Sicher, im Laufe der Zeit musste man lernen, dass Dylanologie nicht ausreicht, das Leben zu meistern. Aber so ein langer Abend am Bügelbrett erinnert daran, dass Bob Dylan so gut wie kaum sonst jemand zu sagen weiß, warum das Leben nicht zu meistern ist.

© SZ vom 08.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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