Deutsche Literatur:Der kulinarische Ermittler

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Der syrisch-deutsche Schriftsteller und Chemiker Rafik Schami. (Foto: Gunter Gluecklich/laif)

Wenn der Fanatismus die Seele erobert: Rafik Schamis Kommissar Barudi ermittelt in seinem letzten Fall vor der Pensionierung im Syrien vor dem Bürgerkrieg.

Von Moritz Baumstieger

Eine der wichtigsten Zutaten vieler Regionalkrimis ist das Essen. Einfacher lässt sich Authentizität nicht vortäuschen als mit Ermittlern, die kulinarischen Lokalkolorit in großen Portionen vertilgen. Leberkäsjunkies verschlingen deshalb Leberkässemmeln, Küstenkommissare pulen "Mordseekrabben". Selbst wenn Kriminalfälle aus Syrien serviert werden, scheint das zu gelten: Der in Damaskus ermittelnde Kommissar Barudi frisst sich in Rafik Schamis "Die geheime Mission des Kardinals" durch Berge von Falafeln, Kibbeh und Hummus, als habe der seit 1971 im Exil lebende Autor seinen ganzen Hunger nach Heimat in die Seiten gelegt.

Wer ein Faible für die levantinische Küche hat, mag Schamis verbalen Foodporn je nach Blutzuckerspiegel als Lust oder Folter empfinden. Um Kommissar Barudi in Syrien zu verorten, wären die zu Gelagen ausufernden Dienstbesprechungen aber nicht zwingend nötig gewesen. Die Ortsmarke Damaskus setzt ein anderes Topos deutlich genug: Die Gesellschaft, in der Barudi ermittelt, ist eine, in der 15 konkurrierende Geheimdienste das Volk und sich gegenseitig in Schach halten. Eine, die von ethnischen und religiösen Gräben durchzogen ist, in der persönliche Loyalitäten mehr wiegen als Vorschriften. Es ist die von Despotismus und Paranoia deformierte Gesellschaft des Diktators Baschar al-Assad, die Schami beschreibt, auch wenn er dessen Namen nicht einmal nennt.

Als junger Kommissar habe sich Barudi geschworen, "der Wahrheit oder der Gerechtigkeit dienlich zu sein", schreibt Schami. 46 Arbeitsjahre später muss Barudi anerkennen: "In einer hochmodernen, aber unfreien Gesellschaft ist die Wahrheitsfindung aussichtslos." Die Figur des unbeirrt und unbestechlich wühlenden Kommissars, der nicht ruht, bevor er die wirklichen Hintergründe einer Tat aufgeklärt hat, mag das abgegriffenste aller Krimiklischees sein. Gleichzeitig ist diese Figur aber eine zutiefst demokratische Institution: Nur wo Gleichheit, Fakten und die Freiheit der Gedanken gelten, ist Platz für Ermittler wie Barudi. In Orwellschen Diktaturen wie Syrien nicht. Dort bestimmen andere Faktoren, was die Wahrheit zu sein hat.

In einem Fass, das Olivenöl enthalten soll, findet der Koch eine Leiche

Dass er mit seiner Herangehensweise nur scheitern kann, bekommt Barudi in "Die geheime Mission des Kardinals" wieder und wieder vor Augen geführt. Es ist der letzte Fall des Ermittlers vor der Pensionierung, so geraten seine zwischen die Kapitel gestreuten Tagebucheinträge - die Schami für die Abschweifungen, Reflexionen und Wortgirlanden nutzt, für die er berühmt und berüchtigt ist - zur Lebensbilanz. Besonders glücklich fällt die nicht aus: Nicht nur auf beruflicher Ebene, auch auf privater muss der nach dem frühen Tod seiner Ehefrau zum einsamen Wolf gewordene Ermittler einsehen, dass er sich zu lange an Illusionen festgehalten hat.

Das ist das zweite große Thema, das Schami in seinem Damaskuskrimi verhandelt, die Macht von Suggestion und Autosuggestion. Barudis Fall beginnt mit einer schaurigen Lieferung, die in der italienischen Botschaft in Damaskus eingeht: In einem Fass, das Olivenöl enthalten soll, findet der Koch eine seltsam präparierte Leiche, der ein Basaltstein an der Stelle des Herzens eingepflanzt wurde und Silberstücke in die Augenhöhlen. Es ist der Korpus eines römischen Kardinals, der vom Vatikan zu einer undurchsichtigen Mission entsandt wurde. Vielleicht sollte er Verbindungen von Kirchenmännern zu mafiösen Netzwerken untersuchen, vielleicht aber auch ein theologisches Gutachten zu vermeintlichen Heiligen und Wunderheilern anfertigen, die Krebs per Handauflegung besiegen können und denen Olivenöl aus den Handflächen rinnt. In der Geburtsregion des Christentums geht es in Schamis Roman teils zu wie in Monty Pythons "Leben des Brian", falsche Propheten und Scharlatane überbieten sich gegenseitig.

Um die Beziehungen zu Italien auf keinen Fall zu belasten - der Fall spielt am Vorabend des Arabischen Frühlings im Jahr 2010, als sich die künftigen Bruchlinien immer deutlicher abzeichneten, das Regime nach außen hin aber noch um Anerkennung und Investitionen warb - laden die syrischen Behörden einen Kommissar aus Rom ein, die Ermittlungen zu begleiten. Barudi hat zwar die Aufgabe, auf den Gast aufzupassen (was in Ländern wie Syrien auch heißt: gut im Auge zu behalten), freundet sich aber schnell mit diesem Marco Mancini an.

In immer vertrauteren Gesprächen arbeiten die beiden zum einen die strukturellen Parallelen zwischen der Mafia und Diktaturen aller Arten heraus. Dabei essen sie ziemlich viel und gut - und machen sich als Faktenfanatiker über Volks-, Wunder- und Aberglauben lustig. Über Christen, die die Vorhaut Christi als Reliquie verehren, Scharlatane, die ihren Anhängern noch die eigenen Fürze als Wundermittel verkaufen, über Verteidigungsminister, die sich mit heiligem Öl salben lassen und Islamisten, für die der ohnehin kryptische Text des Korans mangels Arabischkenntnissen für immer ein Rätsel bleiben muss.

Aberglaube gedeiht am besten in elenden oder übersättigten Gesellschaften

Dass er auch den Islamismus für einen Aberglauben hält, lässt Schami seinen atheistischen Kommissar mit christlichem Wurzeln ganz direkt sagen - denn natürlich geraten die beiden Kommissare bei ihren Nachforschungen nicht nur an sabotierende Geheimdienste, bigotte Führer aller möglichen Glaubensrichtungen und mauernde Diplomaten. Bei Ermittlungen im Norden des Landes - ironischerweise dort, wo heute in der Region um Idlib tatsächlich gerade Islamisten die letzte Schlacht gegen Assads Truppen schlagen - besuchen die beiden eher unfreiwillig ein kleines Kalifat, das Schami hier in seinem Vorkriegssyrien platziert.

Es wird geführt von jenen Islamisten, die der Assad-Regierung lange als nützliche Idioten gedient haben: Vom Regime in den Irak eingeschleust zum Kampf gegen die Besatzungsmacht USA und gleichzeitig als Feindbild genutzt, das man zu bekämpfen vorgibt.

Warum diese Gruppen und später auch der sogenannte Islamische Staat so starken Zulauf aus dem Westen bekommen sollten, lässt sich mit Schamis Thesen zum Transzendentalen erklären - nicht unbedingt originell, aber keinesfalls falsch: "Aberglaube als Massenerscheinung gedeiht am besten in elenden oder übersättigten Gesellschaften", sagt ein Freund von Barudi, ausnahmsweise bei einem "bescheidenen Frühstück". Die einen suchten Heil im Irrationalen, um sich trotz der eigenen Tragödie Hoffnung zu erhalten. Die anderen, um ihre innere Leere mit irgendetwas auszustopfen.

Dass der Aberglaube und die Feindschaft der Diktatur gegenüber der Wahrheit ziemlich ähnlich funktionieren, erkennt Barudi früh. "Sobald Fanatismus die Seele erobert, verkommt das Wissen zur toten Information", schreibt er in sein Tagebuch. Die Konsequenz daraus zieht er erst am Ende. Er schwänzt die Zeremonie, bei der er für 46 Jahre eines Dienstes geehrt werden soll, der nicht im Dienste der Wahrheit stehen durfte. Und bleibt mit seiner neuen Geliebten im Bett. "Du hast Hunger", bemerkt die bald - denn auch Kommissare mit Faible für Macht- und Glaubensfragen müssen essen.

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2019. 430 Seiten, 26 Euro.

© SZ vom 30.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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