Design:Dem Fortschritt unterworfen

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Fortunato Depero arbeitete als Grafiker, verfasste faschistische Gedichte. Sein größter Erfolg: die Campari-Werbung Pupazzo Campari, zirka 1925. (Foto: Massimo Napoli)

Futurismus in Italien war nicht nur der Reklame nah, sondern auch dem Faschismus. Die Schau "Una dolce vita?" in Rom spürt der komplexen Geschichte des Designs nach.

Von Thomas Steinfeld

Dem Futurismus, der italienischen Variante der ästhetischen Moderne, war die Reklame nie fern gewesen. Als er in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in die Welt trat, tat er es mit allen Mitteln der Selbstanpreisung, des Rotationsdrucks und der Massenveranstaltung. Umgekehrt bediente sich die Reklame jener Zeit futuristischer Formen. In dieser Verbindung besonders erfolgreich war der Maler Fortunato Depero, der sich als Dekorateur und Steinmetz durchgeschlagen hatte, bevor er im Jahr 1914 gemeinsam mit Giacomo Balla das Manifest "Die futuristische Rekonstruktion des Universums" veröffentlichte. Danach wurde er Bühnenbildner in Rom und Gründer der "Casa d'arte Futurista" in Rovereto, verfasste faschistische Gedichte und arbeitete als Grafiker in New York, wo er Titelbilder für The New Yorker und Vogue gestaltete. Seinen größten Erfolg aber erzielte er, als ihm die Mailänder Firma Campari die Werbung für ihren beliebtesten Likör anvertraute: Neben Etiketten und Plakaten entwarf er die kolbenförmige Flasche, in der seit dem Jahr 1932 die mit Sprudelwasser versetzte Variante des Getränks unter dem Namen "Campari Soda" verkauft wird.

Im "Palazzo delle Esposizioni" in Rom, einem neoklassizistischen Bau hinter dem Quirinale, ist nun eine Ausstellung zu sehen, die den Titel "Una dolce vita?" trägt und der Entstehung des italienischen Designs gewidmet ist, an dessen Anfang auf der einen Seite der "Liberty"-Stil steht, die regionale Variante des Jugendstils, und auf der anderen der Futurismus, die Anbetung einer neuen Welt aus Maschinen und Geschwindigkeit. Der Titel wurde als Frage formuliert, weil offensichtlich ist, dass diese Entwicklung geradewegs durch den Faschismus hindurchführte. Zwar beschränkt sich die Schau auf die Jahre 1900 bis 1940. Doch ist evident, dass in Schöpfungen wie Aldo Magnellis Schreibmaschine für Olivetti (1932) oder dem elektrischen Schnellzug ETR 200, nach aerodynamischen Prinzipien gestaltet von Giuseppe Pagano und Gio Ponti (1936), eine Idee zur "Rekonstruktion" aller Momente des Lebens waltet, die weit über den Zweiten Weltkrieg hinausreicht und mindestens bis in die Zeit der eigentlichen "dolce vita" führt - bis in die späten fünfziger, frühen sechziger Jahre, bis zu neuerlichen Modernisierung Italiens im internationalen Stil.

Der italienische Faschismus verstand sich als eine Bewegung der Moderne

Vorangetrieben wird diese Entwicklung durch ein Versprechen: Der Jugendstil war die erste Kunstform, die nicht nur das ganze Dasein durchdringen sollte, sondern sich auch die Idee eines universalen Fortschritts zu eigen machte. Er tat es von vornherein in propagandistischer Form. "Liberty" hieß diese Bewegung nach einem Londoner Kaufhaus, bei dem ästhetisch fortgeschrittene Italiener um das Jahr 1900 ihre Möbel und Kleider per Katalog und Postorder bestellten. Der Futurismus hingegen ist in seiner Begeisterung für die Maschine nur scheinbar das Gegenteil der sorgfältig in Holz nachgebildeten Schlingpflanzen und sich in den Himmel streckenden Jungfrauen, die den Jugendstil beseelten.

Eher schon ist er eine Steigerung des Versprechens zur Erneuerung des Lebens: Er betreibt die Ankündigung des Fortschritts als Aufruf, sich ihm begeistert zu unterwerfen. Deswegen ist er nicht nur der Reklame verwandt, sondern auch dem Faschismus nahe: Seine Absichten sind so radikal und umfassend, dass ihre praktische Verfolgung in Gewalt umschlagen muss. Nicht einmal der Campari entgeht seiner Verwandlung in ein Getränk für Roboter, auch wenn diese aus einer Art Laubsägearbeit bestehen.

Sechs Jahre Zeit hatte der deutsche Nationalsozialismus, um sich der Umgestaltung der Gesellschaft zu widmen, solange noch Frieden war. Fast siebzehn Jahre standen dafür dem Faschismus Mussolinis zur Verfügung, mit der Folge, dass in Italien nach wie vor viel mehr Gebäude aus jener Zeit stehen, als in Deutschland überhaupt geschaffen wurden - um von der damals entstandenen Kunst gar nicht anzufangen. Die Frist reichte aus, um nicht nur das weiße Gebirge des Mailänder Bahnhofs zu errichten (eine Monumentalarchitektur, die der "Union Station" in Washington nachempfunden ist), sondern auch bahnbrechend neue Bauten wie den Bahnhof von Florenz sowie einen eigenen, gegen alles Historische und Akademische gewandten "Razionalismo" in der Architektur hervorzubringen. Und es gab darin Platz für scheinbar so abseitige Dinge wie den "magischen", den "Prototypen" der Antike zugewandten Realismus Giorgio de Chiricos oder für die surrealen Ausschweifungen des Glasbläsers Napoleone Martinuzzi. Der italienische Faschismus, heißt es im Katalog, habe den Genies erlaubt, nach eigenem Gutdünken weiterzuarbeiten. Auch sei er dem Handwerk eng verbunden gewesen. Eine Antwort auf die Frage "Una dolce vita?" liefern beide Versuche einer Herleitung nicht. Die Kontinuität muss einen anderen Grund haben: Der italienische Faschismus war nicht nur eine Bewegung der Moderne. Er verstand sich auch selbst als solche. Darin eingeschlossen ist die Erhöhung der Kunst zum "einzigen Zauber, der dem Menschen gewährt" sei (Massimo Bontempelli, 1928).

Una dolce vita? Da Liberty al design italiano, 1900 - 1940. Palazzo delle Esposizioni, Rom. Bis 17. Januar. Der nur auf Italienisch erhältliche Katalog kostet 39 Euro.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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