Rachel Cusk "Der andere Ort":Wachgeküsst vom Malerfürsten

Lesezeit: 3 min

Meisterin der Awkwardness: die britische Autorin Rachel Cusk (Foto: Suhrkamp Verlag und Siemon Scamell-Katz/Suhrkamp Verlag)

Er ist ein weltbekannter, egomaner Maler, ihr Verlangen nach ihm ist grenzenlos: Rachel Cusks "Der andere Ort" lässt kaum ein Künstlerklischee aus.

Von Christoph Bartmann

"Ich habe dir einmal erzählt, Jeffers", mit diesen Worten fängt Rachel Cusks neuer Roman "Der andere Ort" an. Wer ist dieser Jeffers, den die Protagonistin Seite für Seite mit seinem Namen ansprechen wird und dem sie offenbar schon immer ihr Innerstes anvertraut hat? Wir werden es nicht erfahren. Erst die knappe Nachbemerkung verrät, dass der Roman als neue "Version" einer älteren Vorlage zu betrachten sei, ja als Hommage an sie. Und was hat N, Schriftstellerin und Hauptfigur, jenem Jeffers einmal erzählt? "Ich habe dir einmal erzählt, Jeffers, wie ich in einem Zug ab Paris den Teufel getroffen habe."

Damals, als sie im Zug den Teufel traf, den darüber hinaus ein "schockierend junges Ding" begleitete, ging N, wie Jeffers schon weiß und auch wir jetzt erfahren, durch eine schwere Lebenskrise. Aus dieser Krise haben sie zwei Männer befreit: Tony, ihr alltagstauglicher neuer Partner, mit dem sie nun zurückgezogen in der südenglischen Marsch lebt, und L, ein weltbekannter Maler, dessen Bilder sie, so erzählt N es Jeffers, auf dem Höhepunkt ihrer Krise vor der Selbstzerstörung bewahrt haben. Während Tony nichts als die praktische Vernunft verkörpert, könnte L allerdings der Wiedergänger jenes Teufels sein, den sie damals im Zug getroffen hat.

Wer von Rachel Cusk die berühmte "Outline"-Trilogie gelesen hat, weiß, dass die Autorin das eigene Leben "autofiktional" umrundet, in einem Stil, den man fast frustrierend spärlich finden kann und den zugleich eine große Klarheit auszeichnet. In Cusks Romanen, scheint es, werden zurückliegende Verlust- und Krisenerfahrungen sowohl erneut wachgerufen wie durch die rigide Form aufs Notdürftigste gezähmt. So ist es auch hier. Der sorgenfreie ländliche Alltag mit Tony bewahrt N nicht vor dem Ansturm dunkler Leidenschaften. Das klingt fast ein bisschen kitschig für Rachel Cusks Nüchternheit. Aber wie soll man es sonst beschreiben, wenn N von L, dem Malerfürsten, einen inneren Weckruf von rilkeschen Ausmaßen vernommen hat? Sie muss, glaubt sie, ihr Leben ändern.

Die "Aura absoluter Freiheit" ist "bis auf den letzten Pinselstrich männlich"

Das Thema, dessen "Version" auf Grundlage eines literarisch verbürgten Vorbilds dieser Roman nun liefert, ist, kurz gesagt, der Einbruch des egomanen Starkünstlers in eine ländliche Idylle, mitsamt den Verheerungen, die dieser Aufenthalt für alle Beteiligten mit sich bringt. Oder anders gesagt, es geht um eine aus dem Ruder laufende Künstlerresidenz. N scheint wie besessen von L, oder jedenfalls von seinen Bildern, die ihr und nur ihr sagen wollen: "Ich bin hier." Deshalb lädt N nun nach vielen Jahren L zu einem Arbeitsaufenthalt am "anderen Ort" ein, dem Zweithaus auf ihrem ländlichen Grundstück. L, fordernd, manipulativ und unberechenbar, sagt nach einigem Hin und Her zu und bringt zu Ns Überraschung gleich auch noch eine menschlich ebenfalls nicht sehr einnehmende junge Frau mit mondäner Vita mit.

Was man fortan zu sehen bekommt, ist ein immer beklemmenderes und für alle Beteiligten zusehends unerfreuliches Kammerspiel. Wegen der Pandemie sind auch Ns Tochter aus ihrer ersten Ehe und deren Freund anwesend, worauf sich zwischen den Paaren oder Nicht-Paaren alle denkbaren unguten Dynamiken wie von selbst ergeben. Als Treiber des Verhängnisses fungieren der verwöhnte und selbstherrliche L und die ihm trotzdem erstaunlich ergebene N, die in ihrem grenzenlosen Verlangen nach Rettung, Gesehen- und Gemaltwerden kein Klischee einer älteren Kunst- und Künstlermetaphysik auszulassen bereit ist.

Natürlich ist auch dieser Cusk-Roman wieder auf eine perfekte Weise "awkward" (ein besseres Wort gibt es leider auf Deutsch nicht). Aber diesmal gibt es auch manche Schwächen. Jedenfalls dann, wenn man die Figurenrede Ns ernst nehmen will. N erzählt, und Jeffers muss sich das ungefragt alles anhören, eine Menge schwärmerischen Unsinn, etwa über Ls Malerei und deren "Aura absoluter Freiheit, die grundsätzlich, schonungslos und bis in den letzten Pinselstrich männlich war". Aus dieser nahezu pathologischen Demut gegenüber einer bestimmten männlichen Kunstausübung erwachsen allerlei Annahmen etwa zur grundsätzlich amoralischen Natur der "Künstlerseele".

Rachel Cusk: Der andere Ort. Roman. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 204 Seiten, 23 Euro. (Foto: N/A)

Anders sei es dagegen bei uns Normalsterblichen. "Unsere Voreingenommenheit", so N, "nimmt im Laufe des Lebens noch zu, damit wir irgendwann die Grenzen des Schicksals akzeptieren können: der Künstler hingegen muss wachsam bleiben, der Versuchung widerstehen und auf den Ruf der Wahrheit warten". Es bleibt ein Rätsel, warum die Antwort auf das vielfach von N artikulierte Unbehagen am eigenen Frausein, an Geschlechterrollen und Körperbildern nun gerade die Auslieferung an einen männlichen Künstler-Despoten sein soll. Aber genau dazu hat, so scheint es, N den Maler ins Haus eingeladen: damit er ihre ohnehin auf fragilen Füßen stehende heile Welt gründlich zerrüttet.

Weil vieles hier, auch wenn es in der Gegenwart spielt, so zeitentrückt wirkt, weil man sich das dämonische Maleridol von heute her ähnlich schwer vorstellen kann wie die weibliche Lust auf die Probleme, die solche Männer mit sich bringen, drängt sich die Frage nach dem anderen Buch auf, an das Cusks Roman die Hommage sein will. Nur so viel soll verraten werden: Der Künstleraufenthalt, auf den hier zwischen den Zeilen Bezug genommen wird, hat vor beinahe hundert Jahren stattgefunden. An einem anderen Ort, in einer anderen Kunstform, aber offenbar mit ähnlichen Schwierigkeiten. Vielleicht, denkt man sich am Ende, hat Rachel Cusk (aber warum nur?) Fragen und Probleme eines Künstlertums neu aufwerfen wollen, das schon damals so "toxisch" war wie heute.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kochbuch von Anna Netrebko
:Like a Borschtsch

Die größte Sopranistin der Welt, Anna Netrebko, hat ihr erstes Buch geschrieben. Es wurde: ein Kochbuch.

Von Helmut Mauró

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: