Debatte:Vertröstungen

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Maske aus Ozeanien, nun im Ethnologischen Museum in Berlin. (Foto: dpa)

Statt eine echte Lösung für koloniale Raubkunst zu finden, lässt man in Deutschland erstmal forschen.

Von Jörg Häntzschel

Vor knapp zwei Wochen haben die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr dem französischen Präsidenten Macron empfohlen, geraubte Kunst aus den ehemaligen Kolonien zu restituieren und eine "neue Kultur des Austauschs" einzuläuten. Noch am Abend der Übergabe restituierte Macron die ersten 26 Werke.

Dieser Bericht und Macrons promptes Handeln setzen nun auch die deutsche Regierung unter Druck. Denn deutsche Museen sind ebenfalls voll mit Kunst, die in der Kolonialzeit geraubt wurde. Seit Tagen brütet die Regierung dazu an einer offiziellen Stellungnahme. Bis die formuliert ist, behelfen sich Politiker und Funktionäre im wesentlichen mit zwei Sätzen. Der eine lautet: "Raubkunst muss zurückgegeben werden." Der andere: "Die Museen müssen ihre Provenienzforschung verstärken."

Ob Kulturstaatsministerin Monika Grütters oder Hermann Parzinger, Chef der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Alle hoffen, die Kombination aus dem hehren Bekenntnis zu Rückgaben und der Anrufung der Forschung werde die Kritik am deutschen Umgang mit der Frage vorläufig beruhigen. Doch ihre Argumentation verfolgt noch einen anderen Zweck. Sie verschiebt die Lösung des Problems aus der Gegenwart in die Zukunft. Denn Provenienzforschung braucht viel Zeit. Und sie verlagert sie aus der öffentlichen Debatte in eine exklusive Spezialistensphäre, zu der Laien keinen Zugang haben.

Es ist nicht nur das Anmaßende dieser Haltung, das irritiert, es ist auch das politische Taktieren mit der Wissenschaft. Provenienzforschung ist als eigene Disziplin erst nach der Washingtoner Erklärung von 1998 entstanden, in der sich 44 Staaten dazu verpflichteten, NS-Raubkunst in ihren Museen an die Nachfahren jüdischer Sammler zurückzugeben.

In Frankreich entscheidet der Präsident, in Deutschland sollen es Uni-Abgänger richten

Nun auch für das Raubgut der Kolonialisten nach dieser Forschung zu rufen, klingt honorig. Man gibt dem noch bis vor Kurzem vertuschten kolonialistischen Raub damit denselben Rang wie dem lange als Unrecht etablierten NS-Kunstraub.

Doch dass es in beiden Fällen um systematische Verbrechen in staatlichem Namen geht, bedeutet nicht, dass sie sich nach derselben Methode aufklären lassen. Beim NS-Kunstraub sind seit Washington die Kriterien klar, nach denen die Forscher ihre Funde als "unrechtmäßig entzogen" klassifizieren. Mit deren Unterzeichnung hat sich die Bundesrepublik außerdem zu "fairen und gerechten Lösungen" verpflichtet, gemeint sind damit in der Regel Rückgaben. Dass Deutschland seine Selbstverpflichtung in den letzten 20 Jahren oft vernachlässigt hat, steht auf einem anderen Blatt.

Ganz anders verhält es sich beim Kunstraub aus den Kolonien. Weder hat Deutschland formell seine Schuld eingestanden, noch existieren Kriterien dafür, welche Objekte als geraubt gelten müssen. Die Provenienzforscher durchsuchen die Sammlungen also, ohne zu wissen, nach welchen Kriterien, und ohne klare Ziele. Meistens definieren sie diese bei der Suche selbst - oder die Museen, ihre Arbeitgeber.

Ein Problem, das in Frankreich für so bedeutend gehalten wird, dass der Präsident persönlich darüber entscheidet, wird in Deutschland also von den jungen Forschern behandelt, oft Uni-Abgänger mit Zeitverträgen. Und welches Interesse können die Museen daran haben, in ihren Sammlungen Raubkunst zu identifizieren? Die Regierung irrt also, wenn sie glaubt, Provenienzforscher könnten die Antwort auf Deutschlands Raubkunstproblem finden. Es ist umgekehrt: Erst muss die deutsche Haltung klar sein, dann beginnt die Suche in den Sammlungen.

Doch Provenienzforschung im engeren Sinne ist ohnehin nicht vordringlich. Savoy und Sarr konnten in nur acht Monaten detaillierte Empfehlungen formulieren, weil im Pariser Musée du Quai Branly, Frankreichs größtem ethnologischen Museum, seit der Eröffnung 2006 detaillierte Inventare zu jedem Objekt existieren, die zudem online öffentlich zugänglich sind.

Nanette Snoep, die aus den Niederlanden stammende Direktorin der sächsischen Völkerkundemuseen, die ab Januar das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln übernehmen wird, gehörte zu den 70 Wissenschaftlern, die damals in Paris sechs Jahre lang damit beschäftigt waren, jedes einzelne Objekt zu inventarisieren und zu fotografieren.

Als sie nach Deutschland kam, staunte sie darüber, dass die Museen hier diese Arbeit wenn überhaupt, dann nur unvollständig getan hatten. Für die Mehrzahl der Objekte bedient man sich hierzulande noch der Karteikarten und Inventarbücher, die teils über hundert Jahre alt sind. Viele Museen können nicht genau sagen, wie viele Stücke sie besitzen. Digitale Inventare umfassen oft nur Teile der Sammlungen und bestehen nur aus Übertragungen der alten Karteikarten. Öffentlich einsehbar ist bislang so gut wie nichts. Berlin mit 70 000 von 500 000 Objekten ist die Ausnahme. Nicht nur das: Ein Teil der Bestände in den Museen ist überhaupt nicht inventarisiert. Da liegen also Dinge in Kisten und Regalen, für die keinerlei Dokumentation existiert. Eine Kuratorin, die namentlich nicht genannt werden will und die in verschiedenen ethnologischen Museen in Deutschland gearbeitet hat, schätzt diesen Anteil auf mindestens 15 Prozent, eine Zahl, die die Museen von sich weisen. Ihr zufolge tut man in Deutschland den zweiten Schritt vor dem ersten: "Man fängt an, in einem gigantischen Chaos Provenienzforschung zu machen, obwohl die Grundlagen noch gar nicht vorhanden sind." Statt jetzt einige wenige Objekte minutiös zu "beforschen", wäre es viel wichtiger, so Snoep, alle Objekte zu inventarisieren und die Inventare öffentlich zu machen. Genau so tat man es am Quai Branly. Ungenauigkeiten und gelegentliche Fehler hat man dabei in Kauf genommen und nach und nach korrigiert. Auch Meike Hopp, Vorsitzende des Arbeitskreises Provenienzforschung, beklagt seit langem den miserablen Zustand der Inventare an deutschen Museen, nicht nur den ethnologischen. Sie nennt ihn "ein altes Tabuthema". Umso peinlicher ist der Befund angesichts der oft zu hörenden Unterstellungen, in Afrika gehe man mit dem wertvollen Kulturgut schlampig um.

Es gibt viele Erklärungen für die Defizite der Museen: es fehlt an Geld, an Personal, und viele Direktoren investieren lieber in die nächste Blockbuster-Ausstellung statt in mühsame Arbeit hinter den Kulissen. Doch damit kämpfen alle Museen, nicht nur die deutschen. Dennoch haben viele von ihnen, in den USA, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden, diese Arbeit längst gemacht, sie zeigen ihre Bestände oft vollständig im Netz.

Nanette Snoep hat noch eine andere Erklärung. Für sie steht hinter der deutschen Praxis eine "Angst vor Kontrollverlust" bei Kuratoren und Direktoren. Wo käme man hin, wenn Ethnologie keine Geheimwissenschaft mehr wäre, wenn jeder, ob in München oder Ouagadougou, sehen könnte, was die Museen besitzen?

Man käme genau dorthin, wo Frankreich jetzt steht. Nicht nur ist es viel leichter, die Herkunft der Objekte zu ermitteln, wenn Museen untereinander ihr Wissen tauschen. Auch der "Dialog auf Augenhöhe", der in Deutschland stets angekündigt wird, ist dort möglich, weil beide Seiten wissen worüber sie sprechen. Doch genau das ist es, was man in deutschen Museen fürchtet. Ohne politische Ansagen werden diese öffentlichen Institutionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit noch ewig weiterforschen.

© SZ vom 05.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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