"Das Schwein von Gaza" im Kino:Armselige Socken

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Was soll ein palästinensischer Fischer tun, wenn eines Tages ein "unreines" Hängebauchschwein aus seinen Netzen krabbelt? Sylvain Estibals Satire "Das Schwein von Gaza" zeigt kulturellen Clash und Annäherung im Grenzland.

Anke Sterneborg

Das Mittelmeer ist seit Langem Krisengebiet, entlang des Gaza-Streifens zum Beispiel ziehen die kleinen Fischer statt frischer Fische und Schalentiere nur noch Müll und bizarre Fundstücke der Wohlstandsgesellschaft aus dem Wasser. Da staunt der Fischer Jafaar nicht schlecht, als eines Tages ein Vietnamesisches Hängebauchschwein aus seinen Netzen krabbelt - kein kleines Problem für den Mann, einen Palästinenser in den israelisch besetzten Gebieten, wo schon die Berührung eines unreinen Schweins ein Sakrileg ist.

Sasson Gabai als Jafaar (vorne) in der Komödie "Das Schwein von Gaza" von Sylvain Estibal. (Foto: dapd)

Sylvain Estibal, von Beruf Fotojournalist, hält sich in seinem Spielfilmdebüt "Das Schwein von Gaza" nicht lange auf mit dem Lamento des armen Fischers, er skizziert nüchtern lustvoll die absurden Versuche Jafaars, das Schwein möglichst schnell gewinnbringend wieder loszuwerden. Gleich der erste Versuch, es an einen der wenigen Fleischesser, einen deutschen UN-Beamten (Ulrich Tukur), zu verkaufen, scheitert kläglich.

Der Friseur des Ortes beschwört ihn, es schnell abzuschlachten und leiht ihm dafür seine Kalaschnikow. In der israelischen Siedlung macht Jafaar, über den Zaun hinweg, eine junge Frau ausfindig, die eine Schweinezucht betreibt - die Tiere werden abgerichtet, Sprengstoff aufzuspüren. Aber sie will nicht Jafaars Tier, sondern nur dessen Sperma. Um das zu erhalten, kommen Viagra und sehr spezielle Pin-up-Fotos ins Spiel, dann kutschiert Jafaar das arme Tier im Schafspelz durch den Ort, stattet es mit Socken aus, damit seine Füße beim Auftreten ja nicht den Boden des Landes verunreinigen.

Schon 2004 hatte Sylvain Estibal mit einem ungewöhnlichen Projekt dem kulturellen Clash in den besetzten Gebieten nachgespürt, er bat eine jüdische und eine palästinensische Familie in Hebron, ihren Alltag mit einer Fotokamera selbst zu dokumentieren. Auch das "Schwein von Gaza" offenbart nicht nur Unterschiede, sondern auch überraschende Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen, vom Verbot des Schweinefleischs bis zur Liebe zu melodramatischen Fernseh-Soaps, die Jafaars Frau mit einem israelischen Soldaten teilt - auf dem Dach ihres Hauses ist ein kleiner Observierungstrupp stationiert.

Auch mit seiner Besetzung schafft Sylvain Estibal Brechungen: Sasson Gabai, der den Fischer spielt, ist ein Israeli irakischer Herkunft, die russisch-israelische Siedlerin wird von der Tunesierin Myriam Tekaïa verkörpert. Mit chaplinesker Unverdrossenheit führen sie die absurde Geschichte vom armen Schwein von Gaza zu einem märchenhaften Ende.

Le cochon de Gaza, F/D/Belgien 2011 - Regie, Buch: Sylvain Estibal. Kamera: Romain Winding. Schnitt: Damien Keyeux. Musik: Aqualactica, Boogie Balagan. Mit: Sasson Gabai, Baya Belal, Myriam Tekaïa, Gassan Abbas. Verleih: Alamode, 98 Minuten

© SZ vom 09.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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