Das ist schön:Krieg und Lieben

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Wie ein alter Roman von Horst Bienek neue Aktualität erhalten hat

Von Antje Weber

Man stelle sich vor, es ist Krieg, und keiner schaut hin. Valeska Piontek zumindest hat gerade wirklich keine Zeit, sich näher mit einem etwaigen Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen zu beschäftigen. Es ist der Abend des 31. Augusts 1939, und die Klavierlehrerin und nebenbei gewiefte Grundstücksspekulantin bereitet sich nervös auf die pompöse Hochzeit ihrer Tochter vor. Sie plant eine glanzvolle Feier im Hotel "Haus Oberschlesien" in Gleiwitz, ungeachtet der vielen im Hotel untergebrachten Offiziere, ungeachtet manch beängstigender Truppenbewegungen.

Horst Bienek hat sich für seinen Roman "Die erste Polka" (1975) eine denkbar kontrastreiche Szenerie ausgedacht. Der in Gleiwitz geborene, 1990 in München gestorbene Schriftsteller hat in diesem und drei weiteren Romanen ein anschauliches Panorama des Zweiten Weltkriegs vor den Lesern ausgebreitet, vom dumpfen Grollen der Anfänge bis hin zum schaurigen Ende. Das ist weit entfernt von unreflektierter Schlesien-Sentimentalität, sondern ganz dicht an den unterschiedlichsten Menschen entlang erzählt, von der Familien-Matriarchin über Jungs im ersten Liebesflirren bis hin zum jüdischen Landgerichtsrat. Schon der erste Teil der berührenden Tetralogie zeigt atmosphärisch dicht und auch spannend die ganze Komplexität jener Zeit, jener Region, und die Vielschichtigkeit der Menschen sowieso.

Es ist also eine hervorragende Idee, diesen Roman wieder aufzulegen, genau 80 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen. Und eigentlich hätte es dem Münchner Hanser-Verlag als Bieneks Hausverlag gut angestanden, das zu tun. Doch offensichtlich ist man davor zurückgeschreckt, vermutlich zu geringe Verkaufszahlen befürchtend. Man hat damit - auch marketingtechnisch - eine Chance vertan, etwas für diesen wichtigen Schriftsteller zu tun; Bieneks Bücher sind ja nicht zufällig einst bei Hanser gelandet. Übernommen hat die Aufgabe statt dessen der kleine Elsinor Verlag aus Coesfeld im Münsterland; er hat "Die erste Polka" jetzt in einer feinen, sorgfältigen Ausgabe neu herausgebracht, und dass sie mit 29 Euro nicht ganz billig ist, kann man ihm nicht verdenken. So schade es also ist, dass ein großer Verlag wie Hanser seinem Autor nicht die Treue hält - dass ein kleiner Verlag dafür mutig in die Bresche springt, das ist schön.

© SZ vom 14.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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