Das ist nicht schön:Kapitulation vor dem Kalender

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An diesem Samstag gibt es viel Kultur zu sehen - zu viel

Von Henrik Oerding

Eine Vorwarnung: In diesem Text geht es nicht um echte Probleme, sondern um Luxusprobleme, "First World Problems" wie der anglophile Großstadtbürger heute sagt. Weil aber erstens Kolumnen sich genuin den Problemen von Privilegierten widmen und zweitens Münchner sich sowieso in der ersten aller Welten wähnen, müssen wir jetzt gemeinsam da durch.

Das Luxusproblem also: Terminkollisionen, "overscheduling", die Kalenderseiten sind dicht gefüllt, aber der Tag hat weiterhin nur 24 Stunden. Schuld daran ist nicht der Yoga-Kurs, der Lesekreis oder das nächste Tinderdate, nein, Schuld daran sind die Kulturveranstalter. Denn genau heute, am 29. Juni, quillt die Stadt vor Veranstaltungen über: Im Werksviertel feiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks seinen 70. Geburtstag mit einem Tag der offenen Tür, im Brunnenhof der Residenz gibt's die Carmina Burana zu hören, am Abend feiert sich eine große Geldleihanstalt in der Innenstadt mit einer Festspielnacht und auch das Filmfest - zeitgleich am Donnerstag mit den Opernfestspielen gestartet - hat sein Eröffnungswochenende. Gleichzeitig läuft Tollwood im Olympiapark und auf dem Marienplatz feiern die Brauer - und Bier ist ja schließlich auch Kultur. Wer dann noch in die Nachbarschaft schaut, findet noch die Eröffnung der Open-Air-Konzerte in Augsburg mit "Jesus Christ Superstar", das Abschlusskonzert des Richard-Strauss-Festivals in Ettal und auch die Eröffnung der automobilverliebten Sommerkonzerte in Ingolstadt findet am 29. Juni statt.

Die einzig logische Erklärung für diese kulturelle Überforderung: Irgendwann im vergangenen Winter als gerade die Schneemassen auf die Dächer drückten, muss in einem dunklen Münchner Bierkeller eine konspirative Konferenz der Kulturveranstalter stattgefunden haben. Dort saß man zusammen, plante das Kulturjahr 2019 und dachte sich: der 29. Juni, das wäre doch ein guter Tag um den kulturverwöhnten Münchnern die eigene Überheblichkeit vor Augen zu führen.

Hätten Sie nur bedacht, was sich am 29. Juni 1613 am Südufer der Themse, im Londoner Globe Theatre zugetragen hat. Um die Aufführung von Shakespeares "Heinrich VIII." besonders plastisch zu gestalten, feuerte man eine Kanone ab, was wohl nicht die beste Idee unter einem strohbedeckten Dach war - das berühmte Theater brannte ab. Was lernen wir daraus? Zu viel Show ist auch nicht gut. Und das ist nicht schön.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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