Das Literaturarchiv in Marbach will unter der Leitung von Sandra Richter künftig auch Computerspiele archivieren. Nicht jedes Spiel sei dafür relevant, "wohl aber die, die in hohem Maße Erzählstrukturen enthalten", sagt Richter. Das ist eine wichtige und überfällige Entscheidung. Nicht nur haben Computerspiele in verschiedensten Formen Gesellschaft und Kultur durchdrungen, viele von ihnen zeichnen sich durch eine Nähe zur Literatur aus.
Seit Jahrzehnten gibt es Spieleversionen literarischer Texte. Ungeachtet dessen, wie gelungen diese Adaptionen im Einzelnen sind, kann sich ein Archiv, das eine Sammlung von Quellen der Literatur- und Geistesgeschichte sein soll, nicht vor diesen Bearbeitungen von Literatur verschließen. Im vergangenen Jahr zeigte das Computerspielmuseum in Berlin eine Ausstellung über "Literatur und Computerspiele", die belegte, wie nah die Erzählweisen beider Medien zusammenliegen können und wie literarischen Figuren, Motiven und Themen in digitaler Form neue Aspekte entlockt werden.
Längst gibt es Spiele mit erklärt literarischem Anspruch. 2012 erschien von dem deutschen Entwickler Yager "Spec Ops: The Line", eine Adaption von Joseph Conrads "Herz der Finsternis". Das Spiel verlegte die Handlung der Novelle in ein fiktionalisiertes Dubai, wo der Spieler als amerikanischer Soldat in ein Flüchtlingsdrama verwickelt wird. Das Spiel geht weiter als viele andere Adaptionen, wenn es die gewohnte Ballerspielmechanik unterläuft, klare Freund-Feind-Schemata des Genres auflöst und damit die innere Reise und die moralischen Fragen aus Conrads Vorlage auf den Spieler überträgt. Hier hat die Selbstreflexivität, die als Merkmal von Literatur gilt, direkten Einzug in das Spiel gefunden. "The Line" war ein Flop, aber eine Aufnahme ins Literaturarchiv könnte solchen Spielen die verdiente Aufmerksamkeit verschaffen.
Umgekehrt finden Computerspiele inzwischen Einzug in die Literatur. In dem gerade erschienen Roman "Miami Punk" von Juan S. Guse werden Onlinespiele mit ihren komplexen Regelsystemen und hohen Anforderungen an die Spieler mit den Erwartungen der modernen Arbeitswelt enggeführt. Computerspiele sind zur Metapher, zum Theoriekonzept und Motiv in der Literatur geworden. Eine sinnvolle Auseinandersetzung damit kann nur stattfinden, wenn diese Kontexte bekannt und zugänglich sind.
Das Literaturarchiv muss die vielfältigen Verbindungen von Literatur und Computerspielen abbilden und nachvollziehbar machen. Auch gilt es, Spiele zu bewahren, die an eine spezielle Hardware gebunden sind. Und es gibt Vermittlungsbedarf. Computerspiele sind für viele ein voraussetzungsreicher und hermetischer Diskurs, und die Auseinandersetzung mit literarischen Verfahren spielt bisher für Computerspiele nur eine marginale Rolle. Auch hier hat eine Institution wie das Literaturarchiv die Möglichkeiten, Zugänge zu schaffen und neue Diskussionen zu eröffnen.