Comic:Fake News

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Der Held in dieser Bildergeschichte lernt eine Menge über Populismus und Mainstream. Wie verschaffen sich Wahrheit und Fakten Geltung?

Von Bernd Graff

Einem aktuellen Comic ein mehrseitiges Vorwort, gespickt mit Fußnoten, voranzustellen, das ist mal ein Statement! Es signalisiert schon beim ersten Aufschlagen: Hier geht es nicht nur um bildmächtige Unterhaltung. Und richtig, in das angereicherte Vorwort ist gleich ab der achten Zeile das sechszeilige Zitat eines berühmten Wissenschaftshistorikers, Maurice Dumas, aus dem Jahr 1957 geschaltet, ein Zitat, das man - nicht nur wegen seiner Länge - am besten mehrmals liest: "Die Erforschung eines neuen Humanismus, in dem die Wissenschaft einen bedeutenden Platz einnehmen wird, sollte es erlauben, das Unbehagen angesichts der Gefahren zu zerstreuen, mit denen Wissenschaft und Technik angeblich den Geist bedrohen." Wow! Das muss man erst einmal verkraften: Wissenschaft und Technik als angebliche Bedrohung des Geistes, der neue Humanismus als Gegengift. Und das in einem Comic! Das ganze Zitat ist noch länger. Gérald Bronner ist der Autor dieses Comics, Jean-Paul Krassinsky, der Schöpfer von "Affendämmerung", sein Zeichner. Das ist ein kaum zu überbietendes Dreamteam für die Klärung noch der komplexesten Fragen. Genau richtig also, um sich den vor allem in sozialen Medien schier unvermeidlichen, auch sonst virulenten "Fake News & Verschwörungstheorien" in den überinformierten westlichen Zivilisationen unserer Zeit zu widmen und sie in klaren Bildern mit eindringlichen Beispielen zu dekonstruieren. Bronner ist Professor für Soziologie in Paris, er berät die französische Regierung zum Ursprung der dschihadistischen Radikalisierung Jugendlicher, sein genereller Forschungsschwerpunkt sind Fragen zur Entstehung von Glauben, Fanatismus und Mythen in sozialen Kontexten. Klar, dass so jemand sich heute mit Verschwörungstheorien und Fake News beschäftigen muss, klar auch, dass er weiß, wovon er spricht. Darum also die schwerlastige epistemische Fundierung im Vorwort von David Vandermeulen, das an zentraler Stelle noch die Äsop-Fabel vom Wolf und dem Lamm aus dem 6. Jahrhundert vor Christus referiert, in dem das supersmarte Lamm trotz seiner allerbesten Argumente dennoch vom ebenso ignoranten wie übel entschlossenen Wolf gefressen wird. Denn darum geht es auch im Comic: Wie verschaffen sich Wahrheit und Fakten, Vernunft und Logik wieder Geltung, wo doch überall "Beweise", "Bauchgefühle" und "bestens Informierte im Netz" in langatmigen Erzählungen das genaue Gegenteil besserwissen, wo diejenigen, die Fake News verbreiten, dreist behaupten, jedes Argument gegen ihren Blödsinn seien die Fake News.

Die Geschichte beginnt also mit dem Jungen Leon, der seine Eltern am Esstisch für blöd erklärt, weil sie sich impfen lassen. Impfen mache ja erst krank, und sie seien mal wieder den offiziell verbreiteten Fake News der Mainstreammedien aufgesessen, wie schon beim "11. September". Dieser ach so schlaue Leon trifft dann rasch auf sein namenloses Alter Ego, seine bessere, weil vernünftige Hälfte, die ihm sachlich und behutsam erklärt, warum Menschenhirne sich so gerne täuschen lassen und auch unbewusst falsch wahrnehmen, wie man etwa an optischen Täuschungen sehen kann. Er zwingt Leon hinzusehen, die immer gleiche Mechanik in den so eingängigen, bequemen Verschwörungstheorien und Mythenbildungen zu erkennen und den eigenen Wunsch, daran festhalten zu wollen. An Weltuntergänge wurde in der Menschheitsgeschichte ja schon oft gaaaanz fest geglaubt, und wenn sie dann zum prognostizierten Zeitpunkt doch nicht eintraten, war immer etwas bei der Übertragung dieses arkanen Wissens schiefgegangen. Aber der Glaube an die generelle Richtigkeit der apokalyptischen Prognosen wurde nur selten revidiert.

Die kognitiven Schwächen werden heute ausgebeutet, um handfeste Interessenpolitik zu machen: Populismus nennt man diese Form der Manipulation, die zynische Kunst der Vereinfachung, der simplen Schwarz-Weiß-Bilder und radikalen Freund-Feind-Schemata. Der superkluge Rat, den die Stimme der Vernunft dazu abschließend gibt, ist, nun ja, eben ziemlich klug: "Je besser du die Grenzen deines Urteilsvermögens kennst, desto weniger hast du Manipulationen von außen zu befürchten, ob sie aus dem Internet kommen, von den herkömmlichen Medien oder aus dem Alltag."

Die klaren Konturen der gezeichneten blonden wie dunkelhaarigen Protagonisten vor den samtigen Aquarellverläufen der Hintergründe machen auch Bild für Bild deutlich, dass Leon hart mit sich für die eine oder andere Seite zu kämpfen hat. Ist denn alles falsch, was er glaubt und zu wissen meint? Und ist er wirklich zu leichtgläubig und anfällig für Gerüchte und Geschichten von Szenarien, in denen dunkle Mächte ihr perfides Spiel treiben? Ist er, und auch wieder nicht. Am Ende lösen sich beide Figuren harmonisch ineinander auf. Leon ist reifer geworden, selbstbewusster in seinem Urteil. Machen Comics schlauer? Dieser, der siebte in der Reihe "Comic-Bibliothek des Wissens" aus dem Verlagshaus Jacoby Stuart, ganz bestimmt.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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