"Blessings And Miracles" von Carlos Santana:"Balance, Gleichgewicht, das gehört auch dazu"

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"Manche nennen es 'Voodoo', ich bevorzuge 'Verbundenheit mit dem Universum'": Gitarrist Carlos Santana. (Foto: Marylène Eytier)

Carlos Santana ist ein Phänomen: Ein Gitarrist, der 50 Jahre lang dieselbe Tonleiter spielt - und trotzdem selten langweilt. Ein virtuelles Treffen zum neuen Album.

Von Ralf Dombrowski

Carlos Santana ist schon deshalb eine wunderliche Persönlichkeit, weil in seiner Musik und Entwicklung die Kontraste des Business kollidieren, ohne sich zu behindern. Er ist Träumer und Geschäftsmann, Pionier und zugleich konservativ Kreativer. Außerdem natürlich einer der dienstältestes Gitarristen der Rockmusik, dem es gelingt, mit der immergleichen Pentatonik nimmermüde Freude an den Tag zu legen. Er ist also eine Art personifiziertes Mantra - sein Glück generiert er aus der Wiederholung.

Was gar nicht ungeschickt ist. Auf diese Weise macht er sich schließlich unabhängig vom Innovationsdiktat, ohne zwangsläufig altmodisch zu wirken. In seinen Worten, gesprochen am Telefon: "Ich bin sehr in afrikanischen Rhythmen und europäischen Melodien verwurzelt." Rhythmus sei dabei das männliche, Melodie das weibliche Prinzip. "Wenn sie beide zusammenkommen, gibt es eine Einheit. Die afrikanische Musik ist dabei grundlegend, sie versteht sich auf die Freude, auf Meditation. Manche nennen es 'Voodoo', ich bevorzuge 'Verbundenheit mit dem Universum'." Das jedenfalls gebe ihm den Enthusiasmus und halte, "was ja auch wichtig ist", jung.

Für ihn sei es eben normal, große Musiker und Musikerinnen einzuladen, mit ihm Musik zu machen

Auch solche Sätze sagt Santana seit Jahrzehnten. Marketing-Mantras und auch die: entwaffnend. Es gibt über "Blessings And Miracles", sein neues Album, nämlich nichts grundlegend Neues zu berichten. Die Art, wie er selbst darüber berichtet, ist dann aber doch wieder, nun ja, fein anzuhören.

"Eigentlich hat sich nicht so viel geändert", sagt er dann zum Beispiel. Für ihn sei es eben normal, große Musiker und Musikerinnen einzuladen, mit ihm Musik zu machen. "So wie Wayne Shorter einmal meinte: 'Ganz neu und doch vertraut.' Balance, Gleichgewicht, das gehört auch dazu. Balance etwa zwischen Stücken, die man im Radio spielen kann und völlig anderen Sachen." So klingt das.

(Foto: N/A)

Und so klingt auch das neue Album, entstanden über zwei Jahre hinweg unter Corona-Bedingungen, ein bisschen parzelliert in Arbeitsteilung im Studio. Es erzählt Geschichten von Liebe, Freude, Frieden und Erleuchtung. Es gibt Gäste wie Kirk Hammett von Metallica, mit dem Santana sich schon in den Neunzigern auf der Bühne duellierte, oder den im Februar dieses Jahres verstorbenen Chick Corea, der vergleichsweise zurückhaltend eine latinfröhliche Passage garniert. Sängerinnen und Sänger von Asdru Sierra über Chris Stapleton und Rob Thomas bis zu Tochter Stella Santana schmücken mal mit mehr, mal mit weniger Schmalz und Soul die Stücke. Die fantastische Schlagzeugerin Cindy Blackman, seit gut zehn Jahren mit Santana verheiratet, trommelt die von Percussions verstärkte Basis.

Der dramaturgische Bauplan des Albums entspricht in etwa dem bei "Supernatural" (acht Grammys, gut 23 Millionen Mal verkauft, weitestgehend frenetische Rezensionen, in den USA fast zwei Jahre in den Charts) entwickelten Konzept: die eine Hälfte mit schlendernden Instrumentals und improvisierendem Rock-Flow für die hippiesk geprägte Gemeinde, die andere Hälfte mit Strandbar-kompatiblem Radio-Dudel einschließlich Schlüsselreizen von R&B-Feeling bis Reggaeton. Mittendrin im Allerlei finden sich Perlen wie die musikalisch mäandrierende und hinreißend kommunizierende Cover-Version von "Whiter Shade Of Pale" in kleiner Runde mit Steve Winwood als singendem und orgelndem Gegenüber.

Qualitätsarbeit eben, weniger ambitioniert als das Themenalbum "Africa Speaks" oder das Retro-Programm "IV", mit dem Santana sich während des vergangenen Jahrzehnts an die Anfänge seines Mission-District-Teams der frühen Platten erinnerte. Aber konsequent in Santanas Haltung, die "Segnungen und Wunder" seiner Karriere zu feiern.

"Inspiration ist wie ein kleiner Vogel, der in mein Zimmer fliegt und sich auf meiner Schulter niederlässt."

Und von dort noch mal weiterzuschreiten: "Ich plane zum Beispiel ein Projekt mit Derek Trucks und Eric Clapton, eher ein Soundtrack wie für 'The Good, The Bad And The Ugly'. Musik, wie für einen Western." Er würde außerdem ganz gerne einmal ein Album mit Songs von Sonny Sharrock aufnehmen, dem Jazzgitarristen, der beinahe klingen konnte wie ein Saxofonist. Vielleicht auch mehr Duo mit Steve Winwood. "So etwas ist dann die andere Seite. Musik für das Radio und Intergalaktisches, wie es Sun Ra gemacht hat. Es gab Zeiten wie mit 'Caravanserai', 'Welcome' oder 'Borboletta', wo es mich wenig interessiert hat, im Radio zu erscheinen. Ich wollte nach vorne schauen, hatte den Sound von Weather Report, Herbie Hancock oder Miles im Blick. Inzwischen aber fasziniert es mich mehr, diese Balance zu halten."

Es ist das Privileg eines langen Künstlerlebens. Im kommenden Jahr feiert Carlos Santana seinen 75. Geburtstag und kann auf deutlich mehr als ein halbes Jahrhundert Rockmusik zurückblicken, in der er als mexikanisch-amerikanischer Stilgrenzgänger zwischen Latin-Groove, Impro-Spirit und Gitarrenvehemenz Spuren akustischen Glücks hinterlassen hat. Und das sind auch die eigentlichen "Blessings And Miracles", längst formuliert und nun mit neuem Album frisch erinnert, vom Mann der akustischen Bilder, mal Schnappschuss und mal Palimpsest. "Inspiration", gibt er noch als Bonmot zu Protokoll, "ist wie ein kleiner Vogel, der in mein Zimmer fliegt und sich auf meiner Schulter niederlässt." Der Träumer spricht und freut sich an den Wundern.

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