Krimikolumne:Im Auge des Angreifers

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Der graue Charme des Seebads Mablethorpe in England, wo Ted Lewis' Buch "Schwere Körperverletzung" spielt. (Foto: Dave Young/Imago)

Drei scharfe Krimis über Solidarität unter Außenseitern und Schmerzen, die nie vergehen.

Von Fritz Göttler

So leicht kann man es sich verscherzen mit den Kollegen. Jessica Sanchez vom Los Angeles Police Department, eine Frau, eine Latina, hat ein Haus geerbt, von einem Mann, der dankbar war, weil sie den Mörder seiner Tochter überführt hat. Sieben Millionen ist es wert, das sorgt für Unruhe bei den anderen Cops und beim Chef, sie wird gemobbt und attackiert, von den meist mittelalten weißen Kollegen, schlägt zurück, jede Menge Pisse ist dabei im Spiel.

Auch ein Fall aus der Vergangenheit quält sie: Hat sie dabei schlecht ermittelt, hat deswegen die Ärztin Blair Harbour für viele Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen? Blair ist inzwischen wieder in Freiheit, sucht mit einer ehemaligen Zellengenossin, der drogenabhängigen Sneak, deren verschwundene Tochter. Dabei geht es um noch sehr viel mehr Millionen. Diese Tochter war mit einem Bankräuber in Kontakt, womöglich ihr Vater, der in der Todeszelle sitzt und darüber grübelt, wer seiner versteckten Beute würdig ist. Bei diesem Millionenbetrag wird auch Ada Maverick lüstern, die den Stripclub The Viper Pit führt. Die fünfte im Bunde ist eine Wühlmaus, sie trägt den Namen Hugh Jackman. Der neue Roman der australischen Autorin Candice Fox ist eine wilde Parabel über Solidarität und Begierde unter Underdogs und unter Frauen.

Candice Fox: Dark. Aus dem Englischen von Andrea O'Brien. Suhrkamp, Berlin 2020. 395 Seiten, 15,95 Euro. (Foto: N/A)

"Maybelline" heißt der Roman bei uns, im Original "Gods of Howl Mountain". Maybelline ist ein schwarzes 1940er Ford-Coupé, das aussieht wie eine Kanonenkugel, sein Dröhnen klingt, als käme es vom Berg selber. Rory Docherty fährt es, um den Whiskey auszuliefern, der in den Bergen schwarz gebrannt wird, oder um den Mais dafür hinaufzuschaffen. Maybelline heißt auch Rorys Großmutter, Granny May, sie geht oft in die Berge hinauf, um die Kräuter zu holen, aus denen sie ihre Tinkturen braut, den Mondtee zum Beispiel, der Poleiminze und Gänsefingerkraut enthält. Das Rezept stammt von den Waldhexen, eine Mischung, die tödlich sein kann, wenn man sie nicht genau abstimmt, aber sie hilft den Mädchen, wenn es einen "Unfall" mit einem Burschen gab, auf dem Rücksitz seines Wagens. Howl Mountain, North Carolina, Herbst 1952: Eine kleine Geschichte von den Thunder roads des amerikanischen Hinterlands, wo der Moonshine-Whiskey-Schmuggel bis weit nach Ende der Prohibition bestand. Anarchie und Grand-Guignol.

1931 ist das Tal geflutet worden, für die Stromgewinnung, die Leute haben sich zur Wehr gesetzt. Rory war in Korea, hat dort ein Bein verloren. Seine Mutter, Grannys Tochter, ist in einer Anstalt, ihr Geliebter wurde getötet vor ihren Augen, sie selbst hat einem der Angreifer ein Auge ausgerissen und es konserviert. Ich habe ein Recht, das Auge zu sehen, sagt Rory. Er verliebt sich in ein Mädchen, Tochter eines Predigers, die mit Schlangen Umgang hat. Man kann den Herbst lieben lernen beim Lesen, die kalte Luft, die frische Klarheit, stolze Unabhängigkeit und kindische Mutproben.

Taylor Brown: Maybelline. Aus dem Englischen von Susanna Mende. Polar, Stuttgart. 412 Seiten, 14 Euro. (Foto: N/A)

Ein ganz persönlicher Lockdown für George Fowler, er musste für eine gewisse Zeit untertauchen, schnell und anonym. Den Ort dafür hatte er vor Langem ausgesucht und präpariert, in Mablethorpe, mit seinem eher tristen Seebad-Charme - Vergnügungspark, Gasometer, Riesenrad, aber es ist kaum etwas in Betrieb außerhalb der Saison. In den Bars lädt er den Mann hinter dem Tresen auf einen Drink ein. Keiner weiß von diesem Rückzugsort, auch Jean nicht, Georges Frau, die ist inzwischen tot. Ein Bungalow in Strandnähe, gerüstet gegen Angriffe wie eine Festung, an einer Wand im Salon ein Bild des Fetischisten Allen Jones, außerdem eine Leinwand und zwei Projektoren, 16 und 8 mm. Mit Voyeurismus hat Fowler sein Geschäft gemacht, Pornofilme, extrem und brutal, harter Snuff. "GBH" heißt der Roman im Original, grievous bodily harm, im Deutschen "Schwere Körperverletzung". Das Buch erschien 1980, zwei Jahre darauf starb der Autor Ted Lewis, 42 Jahre alt, er hatte schwere Alkoholprobleme. Ein Schicksal, wie es sich für einen Noir-Schreiber gehört. 1970 hatte Ted Lewis "Jack's Return Home" geschrieben, der 1971 unter dem Titel "Get Carter" verfilmt wurde, von Mike Hodges, mit Michael Caine, ein ikonischer Film der Brit-Noir-Tradition. Den Film kennen alle. Den Roman hat kaum einer gelesen. "GBH", der eben im Berliner Verlag Pulp Master wieder herauskam, geht noch ein paar Schritte weiter. George Fowler wird von Konkurrenten ausmanövriert, reagiert mit Folter und Mord, landet in einer totalen Einsamkeit, mit seinen Erinnerungen und Phantasmen. "Die See" und "Der Rauch" sind die zwei Erzählstränge überschrieben, die das Buch über alternieren, das Jetzt und das Einst, das eine wie das andere ein diffuses, wandelbares Medium. Am Ende dann ein letzter schrecklicher Film, den er nicht rausreißen konnte aus seinem Leben.

Ted Lewis: Schwere Körperverletzung. Aus dem Englischen von Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2020. 334 Seiten, 14,80 Euro. (Foto: N/A)
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