Literaturgeschichten:Der Anti-Twain in Haydleburg

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"Kennste eines, kennste alle", und ab jetzt gibt's nur noch Kopien: Ein "Spuren"-Heft über Charles Bukowskis Besuch in Heidelberg.

Von Alex Rühle

Ein Bogen Druckpapier, sechzehn Seiten. Jeweils mit eigens angefertigter Landkarte, farbigem, halbtransparentem Pergamin-Umschlag und immer anderem Signet: Die "Spuren", diese Hefte, die das Literaturarchiv Marbach im Vierteljahresrhythmus herausgibt und in denen jedesmal nach Orten der Literatur gesucht wird, die keine Plakette tragen und die so in keinem Reiseführer stehen, sind längst Sammelobjekte unter Bibliophilen ( www.alim-bw.de/spuren).

Gerade wurden wieder zwei veröffentlicht: Georg Patzer rekonstruiert, warum Arno Schmidt 1955 fast als Dozent nach Ulm gezogen wäre, an die gerade gegründete Hochschule für Gestaltung, und warum er das dann doch bleiben ließ. Allein schon wegen des Verachtungsfurors, mit dem der damals bettelarme Schmidt im Nachhinein sein Bewerbungsgespräch bei Max Bill beschreibt, ist das unbedingt lohnenswert.

Noch schräger, spannender, absurder aber ist das, was Heinrich Detering rekonstruiert hat: Charles Bukowskis Besuch in Haydleburg aka Heidelberg, am 12. Mai 1978. Was ja schon vom Grundkonzept her ein Clash ist, der dirty Harry der Literatur auf dem Schlossaltan, von dem aus alles ringsum nur pittoresk und romantisch anmutet. Auf den Tag genau hundert Jahre zuvor war Mark Twain hier und hat mit seiner verklärenden Beschreibung des kleinstädtischen Heidelberger Fachwerkidylls wahrscheinlich das Deutschlandbild der Amerikaner geprägt wie niemand nach ihm.

Jetzt also Bukowski, der ja als Heinrich Karl Bukowski in Andernach geboren wurde, erstmals nach Deutschland kommt, um familiäre Spurensuche zu betreiben, und dabei auch in der Stadt seines Übersetzers vorbeischaut. Gesamtwerkleser werden den Besuch kennen, er schreibt davon in seinem bebilderten Reisebuch "Shakespeare never did this", in dem er die Höhepunkte eines Heidelbergbesuchs, Schlossbesichtigung, das berühmte Riesenweinfass, Blick über die Altstadt, cool abkocht.

Mark Twain schrieb über den Ausblick vom Schloss: "Ich habe nie eine schönere Aussicht genossen." Charles Bukowski war auf den Tag genau hundert Jahre später da und schreibt in seinen Reiseerinnerungen: "Ich stand da dumm rum und tat so, als würde ich auf den Fluss und die Dörfer schauen." (Foto: Manfred Metzner/Manfred Metzner)

Detering hat nun die damaligen Begleiter befragt. Und alle erzählen sie, wie vollkommen desinteressiert, ja apathisch Bukowski durch Heidelberg geschlurft sei. So ziemlich alles, was er im Reisebuch schreibe, sei erfunden. Über das bauhistorische Schloss habe er nur gesagt: Kennst du eines, kennst du alle. Was aber Michael Buselmeier als interessante Rezeptionszäsur umdeutet: "Mit seiner Haltung, die das Besondere Heidelbergs nicht mehr wahrnimmt, sind - ernst genommen - Mythos und Geschichte der Alten Welt beendet, und es gibt nur mehr Kopien zu sehen."

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