Bühne:Gespenstischer Theaterreigen

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Karl Kraus hielt sein böses Weltkriegspanorama "Die letzten Tage der Menschheit" für unspielbar. Am Pariser Theater Vieux Colombier gelingt es aber sehr gut - mit nur vier Schauspielern.

Von Joseph Hanimann

Viele Aufführungen der Weltkriegstheatersatire "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus scheitern daran, dass sie entweder den Faden des Ungeheuerlichen verlieren oder, wie 2014 bei den Salzburger Festspielen, den von Sarkasmus und Spott. In der Inszenierung von David Lescot am Pariser Theater Vieux Colombier, der Zweitbühne der Comédie Française, sind die beiden Fäden so ineinander geknüpft, dass man beim Zuschauen nie genau weiß, ob man gerade lacht oder schaudert. Vier Darsteller erledigen eine zweistündige Cabaret-Fassung des Stücks im fliegenden Rollenwechsel in der Tradition des französischen Café-Concert.

Durch die auf vier Akte bzw. Kriegsjahre gestutzte Szenenfolge führt der Comédie-Française-Star Denis Podalydès, eine Art französischer Gert Voss, der in Personalunion das von Jahr zu Jahr an der Sirk-Ecke des Wiener Ringstraßenkorsos palavernde Offiziersquartett Nowotny, Pokorny & Co. spielt. In scharf pointierten Gegenszenen laufen ihm da der Nörgler und der Optimist, der Abonnent und der Patriot, die Reporterin Schalek und ein paar andere Schwätzer weit ab vom Schuss der Schlachtfelder über den Weg.

Quer zur Front der Wortgefechte verläuft auf der mit Klavierwracks übersäten Bühne aber noch eine andere Front. An ihr stoßen Kunst und Wirklichkeit aufeinander. Am Konzertflügel spielt der Pianist Damien Lehman Zeitgenössisches von Alban Berg, Schönberg, Zemlinsky, Hanns Eisler, Franz Schrecker: sublime Begleitmusik zum Geschehen aus dem Register der Hochkultur. Auf der Leinwand laufen derweil Filmauszüge aus den Kriegswochenschauen von Pathé und Gaumont. Die vom Historiker Laurent Véray besorgte Sequenzauswahl zeigt die Realität der Ereignisse. Vor diesen Schwarz-Weiß-Bildern werden die vier grell ausgeleuchteten Darsteller exakt zu dem, was dem Autor Karl Kraus vorschwebte: auf die "Formel ihrer tätigen Wesenlosigkeit" gebrachte Larven, Lemuren, Masken eines post-humanen Karnevals. Die Aufführung zeigt einen gespenstischen Reigen, dessen Figuren wie die Marionetten eines vom Weltuntergang vergessenen Glockenspiels in der Klavierruinenlandschaft weitertanzen, als hätten sie das göttliche Schlusswort des Stückes überhört, es lautet: "Ich habe es nicht gewollt."

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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