Bildende Kunst:Ton ab: Direktor geht

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Enrico Lunghi, dem Direktor des Luxemburger Museums für moderne Kunst entgleitet ein Gespräch vor laufender Kamera. Ganz Luxemburg kennt diese Szene nun.

Von Thomas Kirchner

Das verhängnisvolle Interview gab Enrico Lunghi am 13. September. Der Direktor des Luxemburger Museums für moderne Kunst (Mudam) erklärt einer RTL-Fernsehjournalistin, dass man ihm die Entscheidungsfreiheit lassen müsse, eine bestimmte lokale Künstlerin in seinem Haus nicht zu zeigen. Dann entgleitet das Gespräch vor laufender Kamera, Lunghi drückt Arm und Mikrofon der Journalistin zur Seite, beschwert sich über eine "Sauerei" und zischt: "Wenn du das bringst, rede ich nie wieder mit dir."

Ganz Luxemburg kennt diese Szene, die RTL am 3. Oktober ausstrahlte - in einer Montage, die Lunghi als unbeherrschten Angreifer darstellt. Zehn Tage nach dem Vorfall muss die Journalistin, die in der gezeigten Szene recht gelassen bleibt, laut RTL "in die Notaufnahme". Der Sender präsentiert ihren bandagierten Arm und eine Krankschreibung, kündigt an, Lunghi zu verklagen. Der Journalistenverband empört sich, Premier- und Kulturminister Xavier Bettel zeigt sich schockiert und strengt ein Disziplinarverfahren an, ohne den Inkriminierten, der sich später brieflich entschuldigte, angehört zu haben. Das öffentliche Urteil ist gesprochen. Enrico Lunghi erkrankt selbst und tritt zurück.

Am Montag veröffentlichte RTL das Rohmaterial des Interviews. Lunghi wird stark provoziert und reagiert aggressiv; ob er die Journalistin körperlich verletzt hat, lässt sich nicht beurteilen. Der Ausraster hat aber eine Vorgeschichte. Lunghi ist ein Pionier, er war, wie Josée Hansen im Lëtzebuerger Land schreibt, "der Mann, der die Luxemburger mit der zeitgenössischen Kunst vertraut gemacht hat", als Kritiker, Kurator, Leiter des Ausstellungsortes Casino Luxembourg und seit 2009 als Direktor des Mudam. Ein Mann, der sich was traute. Er stellte sperrige Werke von Wim Delvoye aus oder die verfremdete Nachbildung einer von den Nazis vom Sockel geholten Frauenfigur, die "Lady Rosa of Luxembourg", was wütende Interventionen der Kriegsgeneration auslöste.

Streitbare Kunst, wie Lunghi sie versteht, verstört, ist schwer zu deuten und fordert dem Publikum viel ab. Zu viel, wie Luxemburger Honoratioren offenbar meinen. Das Mudam, ein Bau von I.M. Pei, war erst 2006 nach langem Disput auf dem Kirchberg-Plateau gegenüber der Altstadt eröffnet worden. Zwar lagen die Besucherzahlen stets über den Erwartungen, doch in der Geschäfts- und Finanzwelt, die in Luxemburg den Ton angibt, sei das Mudam unbeliebt geblieben, schreibt Hansen.

Die Affäre nahm Fahrt auf. Ein Teil der Medien protestierte, die Solidaritätsadressen für Lunghi häuften sich. Die wichtigste kam vom internationalen Museumsverband Cimam: "Wohin wir auch schauen, geraten Menschen, die für freie und ehrgeizige Kunst kämpfen, unter Druck", heißt es. Die Umstände, die zu Lunghis Rücktritt geführt hätten, seien "eine Bedrohung für uns alle", auch weil sie "undemokratisch" seien. Zu den Unterzeichnern zählen der Direktor der Londoner Tate Museen, Nicholas Serota, und Kurator Hans Ulrich Obrist.

In die Kritik gerät somit auch Premier Bettel. Es sei "inakzeptabel", dass der Mudam-Direktor auf Grund der Anschuldigung eines Mediums verurteilt worden sei, monierten Luxemburger Künstler und Kulturschaffende am Wochenende in einem Offenen Brief. An Bettels Stelle, sagt dessen Vorgänger Jacques Santer, "hätte ich erst einmal den Ablauf der Ereignisse untersuchen lassen, bevor ich weiter gegangen wäre". Der Premier will sich vorerst nicht äußern.

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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