Bildband:Im Gasometer tummeln sich Taucher

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1985 gab Thyssen die Meidericher Eisenhütte auf, zurück blieb eine zerschundene Landschaft. Peter Latz führt vor, wie daraus der Landschaftspark Duisburg-Nord wurde, eine Touristenattraktion.

Von Gottfried Knapp

Mit krassen baulichen Gegensätzen und ganz unterschiedlichen räumlichen und landschaftlichen Eindrücken werden die Besucher des Landschaftsparks Duisburg-Nord beim Spaziergang durch die dort konservierten Hinterlassenschaften der Stahlindustrie konfrontiert, und so werden auch die Leser der prächtig bebilderten Monografie über den seit 1990 entstandenen Park mit einer solchen Fülle sprechender Ansichten in die verschiedenen Abteilungen der Anlage gelockt, dass man am liebsten aufspringen und nach Duisburg fahren würde, um die Eindrücke zu lokalisieren und an Ort und Stelle zu koordinieren.

Als die zwischen Meiderich und Hamborn gelegene Meidericher Eisenhütte 1985 von Thyssen endgültig aufgegeben wurde, hat die Industrieruine mit ihrer chaotisch zerwühlten Umgebung den Vorstellungen von einer Erholungslandschaft brutaler widersprochen als alle anderen denkbaren Örtlichkeiten im Ruhr-Emscher-Raum. Das Gelände war von zwei sich kreuzenden Autobahnen und dem monströsen Geschlinge der Ausfahrten umschlossen und von Bahntrassen durchschnitten. Im Inneren kurvten die Zubringergleise des Hüttenwerks auf hohen Dämmen über Kanäle und Fahrwege hinweg, unter den Rohren der Gichtgasleitung hindurch auf die gigantischen offenen Betongruben der Erz- und Kohlebunker und auf die daneben in die Höhe ragenden Stahlgebirge der fünf Hochöfen und des Sinterwerks zu. Den Rest des Geländes bis hinaus zu den Schlackehalden nahmen die gebauten Kolosse der Kraftzentrale, der Pumpen-, Gebläse- und Gießhallen, der Kühltürme und Gasometer ein.

Eine der zehn besten Parkanlagen, befand im Jahr 2015 der britische "Guardian"

Ein Totalabriss der über Nacht nutzlos gewordenen Bauten und die Beseitigung der belasteten Böden schienen unvermeidbar zu sein. Doch die Strukturkrise des Ruhrgebiets hat in den Achtzigerjahren ganz andere Überlegungen sprießen lassen. Sie mündeten schließlich in das ehrgeizige Großprojekt der Internationalen Bauausstellung "Emscher Park", einer Unternehmung, die das nördliche Ruhrgebiet mit städtebaulichen, landschaftsplanerischen, ökologischen und kulturellen Impulsen kontinuierlich aufgewertet und fundamental umstrukturiert hat.

Das anspruchsvollste und aufwendigste Projekt der Bauausstellung war die Umgestaltung des Meidericher Hüttenwerk-Geländes in einen öffentlich nutzbaren Park. Dass den Wettbewerb für diese Maßnahme der Landschaftsarchitekt Peter Latz, der Urvater der ökologischen Stadterneuerung in Deutschland, gewonnen hat, kann als historischer Glücksfall gefeiert werden. Latz hat in dieser vielteilig zerstückelten Industrielandschaft all die von ihm erprobten Methoden der behutsamen Renaturierung unwirtlicher Orte so direkt anwenden und so schlüssig kombinieren können, dass der Landschaftspark Duisburg-Nord zum prägenden Vorbild für zahllose ähnlich komplexe Bauvorhaben, ja zum zentralen Monument in der jüngeren Geschichte der Landschaftsarchitektur in Deutschland werden konnte. Im Jahr 2015 hat die britische Zeitung The Guardian den Landschaftspark an der Emscher sogar in seine Liste der zehn besten Parkanlagen aller Zeiten und Länder aufgenommen.

Die Grundidee von Latz war es, alle bestehenden Bauten als Ensemble zu erhalten, für die Besucher zu erschließen und auf neue Weise zu nutzen. Im Freiraum um die Bauten aber sollten auf den extrem unterschiedlichen Böden möglichst viele Formen der gärtnerischen Kultivierung - das Spektrum reicht von Spontanvegetationen bis zu ausgeklügelten Spezialpflanzungen - erprobt und so miteinander kombiniert werden, dass sich beim Rundgang durch das Gelände eine Vielfalt an visuellen Erlebnissen ergab: Nicht nur die manchmal fast dramatischen Gegensätze zwischen den ragenden Baulichkeiten, den platzartigen Binnenräumen, den dazukomponierten Baumhainen und den in die Schächte gepflanzten Gärten sollten sich den Besuchern einprägen, auch außerhalb des Kernbereichs sollten sich landschaftliche und botanische Charakteristika dem Auge darbieten.

So wechseln sich in den Außenbereichen Substratbeete, aus denen die ersten Besiedler herausgrüßen, und grün bepelzte Schamottehalden mit wildbunten Wiesenstücken und waldartig sich verdichtenden Bereichen ab. Die verbliebenen Bahngleise verschwinden jedes Jahr gründlicher unter den angepflanzten Stauden; und der das ganze Gelände durchschneidende, schnurgerade Damm der ehemaligen Güterbahn ist zur Promenade und, wo geometrische Baumordnungen Sinn ergeben, zur Allee ausgebaut.

Die Emscher, einst eine stinkende Industriekloake, wurde befreit und an die Luft gebracht

Die Industrieanlagen im Zentralbereich können ebenerdig umschritten werden; Latz hat sie aber zusätzlich auf zwei weiteren Ebenen erschlossen. Auf Brücken können Besucher die tiefen Schächte der Kohlebunker überqueren und das allmähliche Entstehen einer Spontanvegetation tief unten am Grund der Bunker und oben auf den Mauern beobachten. In die nicht ganz so tiefen, dafür abwechslungsreich bepflanzten Schächte am Sinterwerk aber kann man hinabsteigen und auf Stegen von einer Grube zur andern wandern. Jede Mauerdurchquerung dort unten ist für eine Überraschung gut.

Die zweite neu geschaffene Ebene ist die der wieder freigelegten Emscher, also jenes Baches, der dem Großunternehmen IBA den Namen lieh. Als die Eisenhütte noch in Betrieb war, verschwand die Emscher schon kurz nach ihrer Quelle in einem Rohr, das sie nach Durchquerung des Hüttenwerks als stinkende Industriekloake wieder verließ. Jetzt durchbricht der wieder ans Licht geholte Bach begrünte Schlackehalden und fließt zwischen den Hochöfen und dem über den Bach gebauten berankten Sinterwerk an Rastplätzen vorbei. Das Schmutzwasser aus der Umgebung aber wird von einem parallel geführten Rohrsystem abgefangen.

Von den drei erhaltenen Hochöfen werden heute zwei als Industriedenkmäler bewahrt. Den dritten, den höchsten, kann man über ein System von Treppen und Stegen bis hinauf zur Spitze besteigen. Aus 70 Meter Höhe eröffnet sich ein eindrucksvoller Blick über die rostenden Monsterkonstruktionen des Hüttenwerks und über die wieder instand gesetzten Backsteinhallen hinaus in die Parklandschaft. Bei Nacht aber lassen die Farbscheinwerfer von Jonathan Park das Stahlgebirge zu einer filigranen Konstruktion werden, die sich fantastisch in den Himmel schraubt.

Längst ist der Landschaftspark Duisburg-Nord zur Touristenattraktion und zum wichtigen Kulturtreffpunkt in der Region geworden. Auf den platzartigen Zwischenräumen und in den Hallen wird Theater gespielt und Musik aufgeführt. So konnte in der 170 Meter langen, vier Geschosse hohen Halle der Kraftzentrale Mahlers 8. Symphonie, die "Symphonie der Tausend", tatsächlich einmal von tausend Musikern vor Tausenden Zuhörern aufgeführt werden. Aber auch Sport ist hier heimisch geworden. An den Wänden und frei stehenden Türmen der Bunkerschächte wurde ein Klettergarten eingerichtet. Und im Gasometer tummeln sich Taucher.

Von all diesen nachträglichen Entwicklungen, aber auch von den fundamentalen Erstgedanken seines Konzepts weiß Peter Latz so lebendig zu berichten, dass man seiner Führung durch den Volkspark im Industriegebiet mit Freude, ja fast mit Ehrfurcht folgt.

Peter Latz: Rost Rot. Der Landschaftspark Duisburg-Nord. Hirmer Verlag München 2016. 287 Seiten, 300 Farbabbildungen, 49,90 Euro.

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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