Berliner Volksbühne:Vegard Vinge und der Eigenurin

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Bei der letzten Aufführung von "12-Sparten-Haus" griff Vinge das Publikum mit einem Feuerlöscher an. (Foto: William Minke)

Wer eine Vorführung von Extrem-Perfomer Vegard Vinge besucht, erwartet, mit Kot beworfen zu werden. Doch irgendwann verliert auch das an Reiz. Deshalb greift Vinge jetzt zum Feuerlöscher.

Von Peter Laudenbach

Zumindest Arbeitsverweigerung kann man dem norwegischen Regisseur und Extrem-Performer Vegard Vinge nicht vorwerfen. Der Mann, auf der Bühne stets mit Maske, macht seinen Job mit einem Pflichtbewusstsein, das in der vergammelten Berliner Kreativbranche seinesgleichen sucht. Zum Markenzeichen Vinges gehört die ordentlich absolvierte Grenzüberschreitung.

Wer eine Vinge-Inszenierung im Berliner Prater der Volksbühne besucht, erwartet, dass der Ausraster vom Dienst das Publikum wie schon gelegentlich in der Vergangenheit mit Kot bewirft oder sich wenigstens selbst in den Mund uriniert. Es ist nicht bekannt, ob Zuschauer, denen solches vorenthalten blieb, empört ihr Eintrittsgeld zurückverlangt haben. Schließlich haben sie es in Erwartung besonders heftigen Theaters gezahlt, von dem sie noch ihren Kindern und Kindeskindern erzählen können.

Die aktuelle Prater-Aufführungsserie Vinges mit dem Titel "12-Sparten-Haus" lässt bisher etwas Schock-Appeal vermissen. Selbst die Kot-Nummer hat irgendwann ihren Reiz verloren. Dem Vinge-Theater drohte das Vergessen. Kurz vor Saisonende ist Vinge dem mit einer kleinen Körperverletzung im Dienst der Kunst zuvorgekommen. Als er das Publikum mit dem Feuerlöscher attackierte, griff der beherzte Bühnenmeister Andreas Speichert ein. Er bekam die volle Ladung Löschpulver ab und musste sich ärztlich behandeln lassen. Als Speichert in früheren Vorstellungen einschritt, um zu verhindern, dass Vinge sich oder andere verletzt, war die Beschimpfung als "Nazi" noch eine der harmloseren Vinge-Reaktionen.

Einen Brief von Volksbühnen-Intendant Castorf, der Vinge nach der Feuerlöscherattacke an die Vertragspflichten erinnerte, beantwortete Vinge so: Er las den Brief auf der Bühne vor, turnte auf dem Dach des Praters herum, absolvierte routiniert die Wir-pinkeln-uns-in-den-eigenen-Mund-Nummer und hängte den Brief dann kotbeschmiert auf. Die Volksbühne bleibt demonstrativ gelassen und lässt wissen, dass man davon ausgeht, dass alle weiteren Vorstellungen wie geplant stattfinden. Privat, ohne Maske, soll Vinge übrigens ein reizender, höflicher junger Mann sein, berichtet Andreas Speichert, der unerschrockene Bühnenmeister.

© SZ vom 28.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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