Berliner Galerien:Kühle Träne

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Hilft Murano-Glas gegen Smartphone-Sucht? Sind Betten die neuen Chiffren der Unbehaustheit? Ein Rundgang durch die Herbstausstellungen der Berliner Galerien.

Von Kito Nedo

Wer dieser Tage die Galerie Neu in Berlin-Mitte betritt, der steht in einem Raum voller Tränen. Die beiden Werkserien "Woman Crying (Comic)" und "Tear (Comic)" der New Yorker Konzeptkünstlerin Anne Collier bilden die aktuelle Ausstellung. Comic-Tränen weinender Frauen aus den Fünfziger- bis Siebzigerjahren sind es, die Collier fotografierte und vergrößerte. Unwillkürlich denkt man an Roy Lichtenstein und seine klassischen Appropriationen des Comics, das er wie alle Gebrauchsgrafik als ein von der Kunst verachtetes Medium begriff. Doch der fotografische Ansatz Colliers bringt eine Kühle in die Auseinandersetzung, die einer Froststufe gleicht.

In den Sechzigern galt Pop Art zunächst als Gegenbewegung zum abstrakten Expressionismus, dessen Vormacht es zu brechen galt. Die feministische Kunsttheoretikerin Lucy Lippard betonte seinerzeit aber, dass ohne den abstrakten Expressionismus die Pop Art im Grunde nicht denkbar sei. Pop sei ein Zwitter, das "Produkt zweier von der Abstraktion beherrschten Jahrzehnte und somit Erbe eher einer abstrakten als einer figurativen Tradition".

Wenn man möchte, kann man diesen Gedanken in die Bilder von Collier neu hineinlesen, denn durch den konzeptuellen Ansatz, das Produzieren einer Serie abstrahiert sie ihre Kunst aus dem Comic, dem alten historischen Pop-Medium. So legt die Künstlerin sowohl seine medientechnische Gemachtheit wie das unterliegende ideologische Gewebe offen (Galerie Neu, bis 2. November).

Geht man in diesem Herbst durch die Berliner Galerien, ist es, als wandele man durch die verschiedenen Pop-Verhältnisses der bildenden Kunst. Da ist etwa die Hommage an die 2017 gestorbene Berliner Pop-Malerin Christa Dichgans, die bei Contemporary Fine Arts (CFA) gezeigt wird. Dichgans' Werk besticht bis heute durch kunstgeschichtliche Sensibilität, Pop-Affinität und Humor. Die 1940 in Berlin geborene Künstlern lebte Ende der Sechziger mit einem DAAD-Stipendium in New York und begann dort, chaotisch wirkende Spielzeughaufen zu malen, in die sich auch mal ein paar rote Stiefel oder eine Spülbürste mischten.

Zeige mir dein Wohn-Chaos, und ich sage dir, wer du bist

Heute, in Zeiten von Marie Kondo, gilt das Aufräumen ja als Weg zur Selbsterkenntnis. Dichgans' Haufenbilder scheinen das Entgegengesetzte vorzuschlagen: Zeige mir dein Wohn-Chaos, und ich sage dir wer du bist. Die Schau bringt Bilder und Papierarbeiten aus dem Dichgans-Nachlass mit der Kunst von Weggefährten wie Georg Baselitz, A. R. Penck oder K. H. Hödicke zusammen. CFA-Galeristin Nicole Hackert holte aber auch Generationsgenossinnen wie Bettina von Arnim, Almut Heise und Ulrike Ottinger sowie eine Reihe jüngerer Künstlerinnen wie Maki Na Kamura oder Anne Neukamp hinzu, um parallele oder verwandte Arbeitsweisen zu zeigen.

Der spekulative Ansatz gelingt mal mehr, mal weniger gut, aber im Fall der Hamburger Künstlerin Almut Heise passt es mit den beiden großen Gemälden vom Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger ganz ausgezeichnet. Heise wurde 1944 in Celle geboren und studierte in den Sechzigerjahren bei Allen Jones und David Hockney. Dessen Idee der "Domestic Scenes" griff sie auf und begann ihre eigenen "Häuslichen Szenen" zu malen. Heises Bilder erzählen von der deutschen Wohnsucht der Fünfziger und Sechziger: überall dicke Vorhänge, Teppiche, Polster, Muster und Ornamente (CFA, bis 19. Oktober).

Noch mehr von Heise gibt es bei Klosterfelde Edition an der Potsdamer Straße zu sehen, wo das frühe zeichnerische und grafische Werk der Künstlerin präsentiert wird. Auch im kleinen Format vereinen ihre Interieurs wie "Wohnzimmer mit Fernseher" (1968) oder "Elternschlafzimmer" (1970) auf sehr gelungene Weise Unheimlichkeit und Tristesse des Wohnens. Almut Heise ist die große, institutionell bislang viel zu wenig gewürdigte Chronistin der deutschen Konsumwut, die mit dem Wirtschaftswunder einsetzte (Klosterfelde Edition, bis 26. Oktober).

Irgendwann ist das Bett dann paradoxerweise mit dem Einzug von Laptops, iPads und Mobiltelefonen ins Schlafzimmer zur zentralen Chiffre von Unbehaustheit geworden. Diese These scheinen zumindest zwei weitere Ausstellungen vorzuschlagen. Zum einen die Schau "Imagine" von Anne Imhof in der Galerie Buchholz, die fünfzig Jahre nach dem berühmten "Bed-In" von Yoko Ono und John Lennon stattfindet. Für je zwei Wochen hatte sich das berühmte Paar in Hotels in Amsterdam und Montreal eingemietet, um vom Bett aus für den Weltfrieden zu werben.

Auch Imhof, die vor zwei Jahren den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig erhalten hat, ist für ihre ausufernden Performances international berühmt. Doch die tonnenschweren Hochsitz-Plattformen aus Stahl, die die Künstlerin in die Galerie wuchten ließ, sind verlassen, ebenso wie die in verschiedenen Ecken platzierten Matratzen. An den Wänden hat Imhof Wolkenbilder installiert, die sie als "Sunsets" bezeichnet. Sie wirken aber eher wie gestauchte und in die Senkrechte gedrehte Aufnahmen von Atompilzen (Galerie Buchholtz, bis 26. Oktober).

Auch in Laure Prouvosts Installation "In Reflection We Rest" bei Carlier/Gebauer steht ein Bett in der Mitte des Ausstellungsraumes, der ansonsten von Palmen und seltsamen Strichfiguren aus Stahl bevölkert wird, die statt Köpfen Monitore, Spiegel oder Leinwände durch die Gegenden tragen. Auf dem Bett liegt eine kleines handliches Telefonobjekt aus Muranoglas. Es ist zwar ein bisschen klobiger als ein gängiges Smartphone, aber die Oberfläche ist ähnlich glatt. Es wirkt fast schon therapeutisch-schön. Womöglich könnte man es statt eines funktionierenden Telefons in die Tasche stecken und sich so mithilfe der Kunst von der Smartphone-Sucht heilen (Carlier/Gebauer, bis 9. November).

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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