Berlinale: Helene Hegemann:Katapultiert ins Elend der Jugend

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"Besser als 100 Therapiestunden": Die 16-jährige Regisseurin Helene Hegemann spielt im Berlinale-Film "Deutschland 09" eine Hauptrolle

Laura Weißmüller

Helene Hegemann sitzt in der Kantine der Berliner Volksbühne und ist spürbar zu Hause. Schließlich war sie schon mit zwei Jahren auf jeder Premierenfeier am Rosa-Luxemburg-Platz dabei. Ihr Vater Carl Hegemann arbeitete als Dramaturg an dem berühmten Theater, das unter dem Intendanten Frank Castorf regelmäßig Schlagzeilen machte. Während das Ensemble nach der Aufführung ausgelassen feierte, schlief die kleine Helene mittendrin auf einem Holztisch.

Die "linksresignative Szene" machte sie kreativ: die 16-jährige Regisseurin Helene Hegemann. (Foto: Foto: SZ)

Auch vierzehn Jahre später kann der Kantinentumult Helene Hegemann nicht aus der Ruhe bringen. Kurz vor der Aufführung steigt der Lärmpegel noch einmal an, Lautsprecherdurchsagen schwirren durch den Raum, das Lachen am Nachbartisch wird hysterisch, aber die 16-Jährige bleibt gelassen. Mit ihren langen dunkelblonden Haaren, die ihr ständig ins Gesicht fallen, dem bunten Blümchenkleid und den roten Turnschuhen sieht sie sehr jung aus, auch ihre Stimme klingt noch kindlich. Doch der erste Eindruck trügt. Das Wunderkind des deutschen Films kommt einfach nur sehr unschuldig daher.

Erstaunlich, was in ihren 16 Lebensjahren schon alles passiert ist: Am Freitag etwa wird "Deutschland 09" auf der Berlinale Premiere haben. Dreizehn Regisseure, darunter Fatih Akin und Tom Tykwer, haben in dem Episodenfilm ihren Blick auf Deutschland thematisiert. Die Schauspielerin und Regisseurin Nicolette Krebitz ließ in ihrem Beitrag Helene Hegemann die Hauptrolle spielen. Nur ein paar Monate vorher sorgte Hegemanns eigener Kurzfilm "Torpedo" auf den Hofer Filmtagen für Aufsehen, nun ist er mit dem "Max Ophüls Preis 2009" in der Kategorie "Mittellanger Film" ausgezeichnet worden. Das Drehbuch, das Hegemann selbst geschrieben und verfilmt hat, erzählt von der 15-jährigen Mia, die nach dem Tod ihrer Mutter in die Theaterszene von Berlin katapultiert wird und versuchen muss, unter den liebenswürdigen Egozentrikern ihren eigenen Weg zu finden. "Torpedo" ist Helene Hegemanns eigene Geschichte.

"Der Vorgang, diesen Film zu machen, hat mir mehr gebracht als 100 Therapiestunden" , sagt die junge Frau, die kein Problem damit hat, ständig auf ihre Vergangenheit angesprochen zu werden. Als ihre Mutter vor drei Jahren starb, zog sie von Bochum zu ihrem Vater nach Berlin. Sie kannte ihn bis dahin kaum, genauso wenig wie die extrovertierte Theaterszene, in der er sich bewegte. In Berlin war es normal, Drehbücher zu schreiben, Schauspieler zu sein oder drogensüchtige Eltern zu haben - oder alles zusammen.

Unter dem Eindruck der "linksresignativen Szene", wie sie das nennt, wurde Hegemann selbst kreativ: Sie schrieb auf, was sie sah und packte ihr "ganzes Elend" in eine kluge Milieustudie. "Mit der Energie, mit der andere sich in einem Volleyballverein engagieren, habe ich mit vierzehn dieses Drehbuch geschrieben. Zu so was ist man in diesem Alter einfach in der Lage" , sagt sie. Viele reden nun vom "Ausnahmetalent", aber Helene Hegemann sieht das so, dass sie durch großes Glück herausgefunden hat, was sie wirklich gut kann.

Ehrgeiziger als alle anderen

Bereits beim Schreiben sei ihr klar gewesen, dass ihr Buch verfilmt werde. Kein leichtes Ziel mit vierzehn Jahren und ohne Erfahrungen im Filmgeschäft. Doch sie könne "so ehrgeizig sein wie niemand anders", beteuert sie. Hegemann verschickte das Drehbuch unter anderem an Tom Tykwer und Christoph Schlingensief und setzte sich schließlich selbst auf den Regiestuhl. Den Jugendbonus, der ihr bei dem Filmprojekt einige Türen geöffnet hat, sieht sie eher zwiespältig: "Einerseits wurde ich dadurch überhaupt erst wahrgenommen, andererseits werde ich darauf reduziert." Sie selbst will die Menschen nicht nach ihrem Alter beurteilen. Zwar sind die meisten ihrer Freunde älter als 25 Jahre, doch genauso gerne trifft sie sich mit ehemaligen Klassenkameraden.

Hegemanns helle Stimme passt trotzdem zu ihren 16 Jahren, genauso wie ihr euphorischer Überschwang. Am Telefon verabschiedet sie sich gerne von ihren Freunden mit "Ich liebe dich!", ihre Sätze sind voller Superlative und Ausrufezeichen. Doch gleichzeitig wirkt die junge Frau erwachsen. Reflektiert erzählt sie über ihre Arbeit als Regisseurin; wenn sie das Theater kritisiert, klingt es, als würde ein Vollprofi Resümee ziehen.

Drei Frauen mit Liebeskummer

Auch wenn ihre richtige "Volksbühnenphase" schon wieder vorbei ist, kommt Hegemann mehrmals im Monat hierher. Die Ticketabreißer kennen sie, Schauspieler wie Jule Böwe standen bei ihr schon vor der Kamera, in andere war sie heftig verliebt. Die Hausbühne von Frank Castorf ist immer noch ein wenig Hegemanns Heimat.

Mit der Arbeit an "Torpedo" hat sich die Jungautorin von der Schulbank verabschiedet und macht jetzt ein Fernabitur. Wichtiger als der Unterrichtsstoff ist ihr ohnehin das Schreiben: In diesem Jahr will sie ihren ersten Roman veröffentlichen, außerdem arbeitet sie gerade am nächsten Drehbuch. Der Film soll die Geschichte von drei Frauen erzählen, die im Alter von 16, 26 und 36 Liebeskummer haben und deswegen nach New York reisen.

Ob sie sich vorstellen kann, was sie selbst mit Mitte 30 macht? Da möchte sie sich nicht festlegen: Regisseurin in Tahiti oder Fleischfachverkäuferin in Deutschland - alles ist möglich, nur eins ist sicher: Helene Hegemann hat dafür noch sehr viel Zeit.

© SZ vom 12.2.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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