"Berlin für Helden" im Kino:Wahrheiten aus der Hauptstadt

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Er fand Berlin lange doof, aber jetzt hat Klaus Lemke doch einen Film in der Hauptstadt gedreht. Der ewige Rocker des deutschen Kinos findet seine Wahrheiten dort erneut in Kneipen und Milieus, in Suff und Kokain. Aber die Cowboys und fatalen Mädchen sind neu.

Jan Füchtjohann

Saralisa ist nach Berlin gekommen, um mal richtig durchgevögelt zu werden. "Von diesem Mikroorganismus?", fragt der Schnösel im leuchtend blauen Anzug. Das lässt sich ihr Lover aus der Nacht davor, der Westentaschen-Strizzi vom Prenzlauer Berg, nicht zweimal sagen. Und los geht die Schlägerei im Kino der coolen Blicke, so übertrieben lässig, so unfassbar peinlich, und doch auch irgendwie so richtig, wie das in dieser Mischung am Ende wohl nur Klaus Lemke hinkriegt.

Spät kam er, doch er kam: Klaus Lemke mit Darstellerin Saralisa Volm in der lange vom ihm verschmähten Hauptstadt Berlin. (Foto: Deutschfilm)

"Berlin für Helden" heißt der Film, der nun auch endlich in München in die Kinos kommt. Lemke ist der ewige Rocker des deutschen Kinos. Er findet seine Wahrheiten in Kneipen und Milieus, in Suff und Geilheit, bei Kokain und schnellen Sprüchen. Ganz unten jedenfalls, und darum zieht er auch seit Jahren lieber oben ohne los - also ohne Geld vom Staat, ohne professionelle Schauspieler, ohne Drehbuch und ohne zu viel Nachdenken.

Doch jetzt ist diesem edlen Wilden etwas Komisches passiert: Er ist ausgerechnet bei Dominik Graf zu einem Argument geworden. Als Graf vor zwei Wochen in der Zeit mal wieder gegen den deutschen Films loszog, so als würde er gar nicht dazugehören, durfte der "legendäre Regie-Guerillero Klaus Lemke" nicht fehlen. Seine Rolle: Gegenmodell zu dem "von Fördergeldern begießkannten deutschen Relevanzkino".

Sicher, Lemke hatte sich für diese Rolle selbst gecastet, er genießt sie in jedem Interview und füllt sie auch glaubwürdiger aus als der Rekord-Grimme-Preisträger Graf. Schließlich schreibt er schon lange keine Anträge mehr oder bittet jemanden um Erlaubnis, wenn er einen Film machen will. Er legt einfach los, mit wenig, aber dafür eigenem Geld, schreibt Manifeste gegen die unerträglich brave, vom Staat geförderte Konkurrenz, kettet sich auf der Berlinale an den roten Teppich und zeigt dem Betrieb seinen siebzig Jahre alten Hintern.

Und trotzdem ist es falsch, dass nun ausgerechnet Graf ausgerechnet Lemke als Waffe in seinem deutschen Kino-Kleinkrieg einsetzt - egal, wie sehr der sich dafür anbieten mag. Denn das Besondere an Lemke-Filmen wie "Rocker" war doch, dass sie in der unerträglichen Spießigkeit Westdeutschlands plötzlich Cowboys, Mädchen und die Prärie entdeckten, dass Hamburg, München und sogar Köln durch sie plötzlich größer, weiter und aufregender schienen, randvoll mit Visagen, Sprüchen und auf der Straße liegenden Geschichten.

Magische Momente

Es war ein bisschen wie bei Roman Polanski, der seinen ersten Film auch auf einem kleinen See im beklemmend engen kommunistischen Polen gedreht hat - und trotzdem war man plötzlich auf einer Yacht und mittendrin in den internationalen Gewässern des aufregenden Films.

Doch während einer wie Polanski nach Hollywood ging, blieb Lemke zu Hause, und das wäre ja eigentlich Strafe genug. Warum also muss ihn Dominik Graf jetzt auch noch in die deutsche Provinz und deren Gezänke zurückholen? Vielleicht, weil über Graf sogar dessen Fans immer sagen, er habe da ja nun wieder was ganz Tolles gemacht - "für einen deutschen Film"? Man weiß es nicht. Jedenfalls ist es genau diese Enge, in der keiner mehr zu den Sternen greift, sondern alle bloß untereinander zanken, der es zu entkommen gilt.

Lemke selbst hat seinen neuen Film "Berlin für Helden" angemessen kleinlaut "Das Beste, was in Berlin je gedreht wurde" genannt. Obwohl er Berlin eigentlich lange doof fand, "subventionierten Unsinn für verspannte Töchter und Söhne", ist er jetzt also doch über seinen Schatten gesprungen, und sucht an der Spree weiter nach neuen Cowboys und neuen fatalen Mädchen, die sich für fünfzig Euro vor seiner Kamera selbst darstellen.

Es ist klar, dass auf diese Art immer wieder mal ein Projekt nichts werden kann, aber auch, wie magische Momente entstehen und manchmal sogar magische Filme. In diesem Fall sind es eher Momente: Der Glücksfall etwa, mit Marco Barotti den geilsten Zwergitaliener der Stadt gefunden zu haben. Sein bei YouTube nachzuhörendes Lied "Ich brauche Tankestelle" hat Barotti zu Recht in Berlin weltberühmt gemacht.

Daneben wabert die Handlung wie Wachs in einer Lavalampe - es geht um eine Fünferbeziehung, um Sehnsucht, Sex und Voneinander-Genervtsein, Desperado-Stimmung in spärlich möblierten Wohnungen. Aber das ist am Ende egal: Hauptsache, es findet sich immer wieder so einer, der dem Leben entschlossen die Sonnenbrille zeigt.

Klaus Lemke tut das mittlerweile seit vielen Jahrzehnten. Allein das verdient Anerkennung, schließlich ist es sehr mühsam und seit einiger Zeit auch nicht mehr cool, immer cool sein zu wollen. Es trotzdem immer weiter zu probieren, egal wie sehr man dabei abwrackt, darin sind sich Berlin, seine Helden und Klaus Lemke grundsätzlich einig. Und genau darum hat der Mann, der das Versprechen dieser Stadt so viel später gehört hat als andere, sie am Ende so viel besser verstanden. Endlich ein neuer Berliner Filmemacher, der zwar in und über Deutschland dreht, aber keine deutschen Filme.

Regie und Buch: Klaus Lemke. Kamera: Paulo da Silva. Schnitt: Florian Kohlert. Mit Saralisa Volm, Marco Barotti, Anna Anderegg, Henning Gronkowski, Andreas Bichler, Dagobert Jäger, Karl Schneider. Verleih: Deutschfilm, 79 Min uten

© SZ vom 09.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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