Berlin Art Week II:Explosive Gesten

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Die Berliner Galerie Crone feiert mit der Ausstellung "Zwei Alter: Jung" die Jungen Wilden und fragt nach ihren Einflüssen auf die heutige Kunst. Klar ist: Ihre Nachfolger wollen mit der Boys-Club-Kultur der Altstars nichts zu tun haben.

Von Jan Kedves

Die gute Nachricht: Inzwischen achtet man bei Ausstellungsbesuchen auf das Geschlechterverhältnis, also darauf, ob Künstlerinnen wieder vergessen oder benachteiligt wurden. Hier trägt die Arbeit feministischer Kunst-Aktivist*innen Früchte, etwa die des "Soup Du Jour"-Kollektivs, das in Berlin "Pimmelsuppe!" ruft, wenn wieder nur Männer an der Wand hängen.

Wenn jetzt in der Ausstellung "Zwei Alter: Jung", die zur Art Week in der Galerie Crone am Tempelhofer Damm eröffnet hat, die sogenannten Jungen Wilden der Achtzigerjahre gefeiert werden, ist man also gleich auf der Lauer. Denn die Jungen Wilden galten ja als notorischer Boys Club.

Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Albert Oehlen, Martin Kippenberger, Werner Büttner oder Walter Dahn: Sie alle sind hier vertreten, mit neoexpressiven, abstrakt-gegenständlichen, humorvoll-bierernsten, erotisch-unsubtilen Leinwänden. Zwischenzeitlich sahen einige von ihnen schon alt aus, inzwischen werden sie wieder gefeiert oder wiederentdeckt. Und vielleicht inspirieren sie auch eine neue Generation von Malerinnen und Malern. Das ist das Thema der Ausstellung: Sind die alten Jungen Wilden in neuen Gemälden wiederzufinden?

Während die Männer Rotzigkeit kultivierten, porträtierte sich Rosemarie Trockel als Clown

Aber zählen wir erst einmal nach: Der Frauenanteil bei den Alten liegt bei 15 Prozent, das sind zwei Frauen. Leiko Ikemura wird zu den Jungen Wilden gezählt, ja, Rosemarie Trockel eher nicht. Bei den neuen Arbeiten liegt der Frauenanteil bei 27 Prozent. Wenn es so weitergeht, werden wir also schon im Jahr 2089 bei einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis angekommen sein.

Dass man an dieser Frage heute nicht vorbeikommt, ist gut so. Und wenn es dazu führt, dass man nicht mehr so offen ist für die vielen anderen Fragen, die in einem Informationstext zu einer Ausstellung stehen, ist das auch gut so. Bei "Zwei Alter: Jung" folgen die Fragen auf die Feststellung, dass jetzt, etwa 35 Jahre später, das Genre, die Technik, die Mittel und das Alter der Künstlerinnen und Künstler gleich seien, aber: "Was hat sich verändert? Was blieb gleich? Was erzählen uns die Bildwelten von damals und die Bildwelten von heute über die jeweilige Zeit, die Menschen, die Gesellschaft, die Kunst, die Welt?"

Der arme Rainald Goetz dürfte hier Schweißausbrüche bekommen, betonte er doch in seiner Rolle als Heiner-Müller-Gastprofessor im Jahr 2012, als er an der Freien Universität Berlin Schreiben lehrte, dass schon zwei Fragen hintereinander zu viel seien - "bei der dritten Frage: Protest!" Im gern mal pseudoliterarischen Genre der Ausstellungsinformations-Schriftstellerei ist das aber ein beliebter Trick: Antworten braucht man keine mehr zu geben, wenn man schon schön viele Fragen gestellt hat.

Wie so oft ist es aber auch hier so: Hat man erst einmal entschieden, sich von Text und Konzept frei zu machen und den Blick, so gut es geht, schweifen zu lassen, wird man belohnt. Da hängt dann nämlich, ganz hinten in der letzten Ecke, das sehr tolle, sehr kleine Gemälde "Ich als Clown" von Rosemarie Trockel. Trockel verbindet man mit vielem: Strickbildern, Wollskulpturen, Videos, Collagen, nur nicht mit Malerei. Was wird sich die Künstlerin wohl gedacht haben, als sie 1984, während des Hypes um die rotzigen, explosiven Gesten der männlichen Jungen Wilden, sich selbst auf gerade mal 19 mal 14 Zentimetern mit nüchternem Strich und langgezogener roter Clownsnase malte? Ihr könnt mich alle mal?

Eine Frau malt Kurven? Das wird Kokettieren mit femininen Klischees sein

Der Satz scheint auch aus der Arbeit von Sophie Reinhold zu sprechen. Deren herrliches Gemälde "Basic Chastity" (2019) sticht aus den neuen Arbeiten in der Ausstellung heraus - schon weil es als einziges die Viereckigkeit hinter sich lässt. Reinholds Leinwand fährt von der rechten oberen zur rechten unteren Ecke ein paar Kurven. Kurven bei einer Malerin, huiuiui, das wird Kokettieren mit femininen Klischees sein, vor allem, wenn im Titel "chastity" steckt, also Keuschheit. Aber das ist natürlich nur eine mögliche Deutung. Man könnte in den Kurven genauso die umgekippte Halfpipe des Skater-Boyfriends erkennen oder eine Verner-Panton-Polsterlandschaft, nur in pastelligen Farben.

Reinhold scheint eine subtil-ironische Künstlerin zu sein. Nebenan im Flughafenhangar, auf der Art Berlin, bespielt sie auch die Fläche der Galerie Schiefe Zähne. Dort zeigt sie unter anderem ein auf Augenhöhe angebrachtes Urinal in der Farbe eines zerkauten orangefarbenen Kaugummis. Das ist, klar, eine Anspielung auf Marcel Duchamps "Fountain"-Readymade, aber wohl auch ein Seitenhieb auf die Pimmelsuppe, siehe oben.

Je näher man nun hier, bei "Zwei Alter: Jung", an die mit Öl und Marmorpuder gemalte Arbeit herangeht, desto eher zwinkert sie einen an, im wahrsten Sinne. Durch die Sprossen einer Struktur, die als Leiter interpretiert werden könnte, blickt einen nämlich - auf den zweiten oder dritten Blick - ein sehr realistisch gemaltes Auge an. Es ist das Auge der Künstlerin selbst, die hier mal die Lage zu checken scheint: Jung? Wild? Wohin bin ich hier bloß geraten?

© SZ vom 14.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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