Ballett:Zertanzte Träume

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Handwerkszeug für jede Ballerina: Ein bis zwei Paar Spitzenschuhe verschleißt sie pro Vorstellung. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Kompanie steht gut da, die Vorstellungen verkaufen sich bestens: Warum Staatsballett-Chef Igor Zelensky trotzdem um Spenden für Spitzenschuhe wirbt

Von Eva-Elisabeth Fischer

Rucke die guh, Blut ist im Schuh! Gemeint ist damit der Spitzenschuh, Folterinstrument und Fetisch zugleich. Seiner Trägerin verursacht er, selbst wenn er passt, Qualen: Als das in zumeist rosa Satin camouflierte, ebenso sperrige wie unverzichtbare Instrument der Ballerina, die ihrem Publikum den romantischen Traum von Schwerelosigkeit eines gleichsam entkörperlichten, Mousseline-umwehten Wesens vorgaukelt. In jüngeren Choreografien wie jenen des Neoklassikers Hans van Manen trägt die Ballerina Trikot oder ein schlichtes Ballettröckchen und rammt den Spitzenschuh selbstbewusst in den Boden als verheißungsvoll sexuell provozierende Waffe.

Die Fetischisierung des Spitzenschuhs setzte ein zur Zeit seiner ersten Blüte, etwa Mitte des 19. Jahrhunderts. Von Bewunderern der Ballerina Marie Taglioni heißt es, sie hätten sich deren Spitzenschuh weich gekocht und an Soße einverleibt. Zertanzt und innen bräunlich befleckt, dient er noch heute, am liebsten signiert von der jeweils Angebeteten, Ballerinenanbetern als Trophäe einer längst nicht nur anmutigen Kunst, die gnadenlos ihren Blutzoll einfordert. Eine jede Ballerina hat ihre bevorzugte Spitzenschuhmarke von ihrem "Maker". Und eine jede hat ihre Methode, die bockelharten, verstärkten und verleimten Dinger mit schmaler zungenartiger Sohle geschmeidig zu kriegen. Und die wunden Füße zu schützen, mit denen sie sich auf einem etwa drei Quadratzentimeter kleinen, verstärkten Rechteck ausbalancieren und auch den Aufprall nach Sprüngen abfedern muss.

Die einen schwören auf Tierwolle, die anderen auf rohes Kalbfleisch. Unvergesslich die Szene in Pina Bauschs "Viktor", als die Tänzerin Silvia Kesselheim mit der schneidenden Ankündigung "Kalbfleisch" ein dünnes Schnitzel schwenkt, das sie alsbald um ihre Zehen wickelt, um endlich in ihre Spitzenschuhe zu steigen und die Kunst graziösen Trippelns zu demonstrieren. Der Verbrauch derartiger Hilfsmittel ist vermutlich seit September 2016, als Igor Zelensky beim Bayerischen Staatsballett als Ballettchef antrat, gewaltig gestiegen - proportional zur sprunghaft angewachsenen Anzahl benötigter Spitzenschuhe. Denn als Verfechter des klassischen Balletts treibt Zelensky seine Leute rigoros auf die Spitze. Und dies auch schon beim morgendlichen Training - Schlaffis in Schläppchen ade! -, welches bereits an der Stange en pointe beginnt. Das schafft Kraft.

Beim Bayerischen Staatsballett sind allerdings nur sechs bis zehn Paar Spitzenschuhe pro Ballerina und Monat budgetiert. Realistisch jedoch sind ein bis zwei Paar pro Tänzerin und Tag, je nachdem, ob ein Ballettabend ansteht oder lediglich Training und Proben absolviert werden müssen. Bei 39 Tänzerinnen macht das also zwischen 39 und 78 Paar Spitzenschuhe pro Vorstellung. Das Paar kostet je nach Hersteller zwischen 60 und 80 Euro. So teuer sind die Schuhe, weil jeder von ihnen handgefertigt wird nach dem speziellen Leisten seiner künftigen Trägerin.

Deshalb zieht nun Zelensky mit einem Spendenaufruf nach, wie er in London oder Stockholm längst gang und gäbe ist. An 3000 Ballettliebhaber gingen im Dezember Briefe heraus, worin diese gebeten werden, das Staatsballett beim Kauf von Spitzenschuhen zu unterstützen mit einem Wunschbetrag von 60 bis 120 Euro. Aber selbst kleinere Beträge werden gern genommen. Igor Zelensky, der Publikumsscheue, trat sogar im BR vors Mikro, um für seine Aktion zu werben. Über diesen Spendenaufruf wundern sich nicht wenige, verfügt doch das Bayerische Staatsballett über einen Etat von zuletzt 7,6 Millionen Euro im Jahr 2018 sowie Sponsorengelder in Höhe von 354 000 Euro.

Und dem Staatsballett geht es ja keineswegs schlecht. Im Gegenteil: Zelenskys konservative Repertoirepolitik wie auch die Reanimation totgeglaubten Starkults dank beinharten Trainings und Coachings sorgt für ausverkauftes Haus. Ein bisschen extra Handgeld durch Spenden aber schafft künstlerische Freiheit, die er sich sonst nicht gönnt. Wer spendet, entwickelt zu den Spendenempfängern eine persönliche Bindung. Darauf spekuliert der Ballettchef sicherlich, stets den unwiderstehlichen Eros des Spitzenschuhs im Hinterkopf. Mit den bisher eingegangenen 6000 Euro freilich können die Spitzenschuhregale nur mäßig bestückt werden. Über die großen Dinge, die Igor Zelensky fordert, seit er hier ist - deutlich mehr Tänzer und mehr Vorstellungen - kann sowieso nur das Kultusministerium befinden.

© SZ vom 12.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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