Babylon, Berlin:Nazis zücken Ernte 23

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Volker Kutscher hat seinen siebten Roman um den Oberkommissar Rath vollendet. In "Marlow" wird ständig geraucht, und die Stadt spielt wieder eine Hauptrolle.

Von Harald Eggebrecht

Ziemlich viel unangenehme Leute, das, möchte man in bestem "amerikanischen" Krimiübersetzerdeutsch fast sagen. Dieser Großgangster Johann Marlow etwa, der 1935 zum SS-Gruppenführer ehrenhalber ernannt wird und in solcher Camouflage seine sinistren Geschäfte auch unter und mit den braunen Machthabern betreibt, ohne einer der ihren zu sein. Oder der elegante Frauentäuscher Gerhard Brunner und SD-Geheimdienstler, dem es gleich zu Beginn bei einem seltsamen Unfall mit einer "Kraftdroschke" (wir sind in Berlin!) das Genick bricht. Dann die immer hübschen Blondinen und Brünetten, die zackig den rechten Arm zum "Deutschen Gruß" hochreißen. Sogar Göring tritt auf, hochrot das Gesicht, glänzend von Alkohol und Morphin. Wie gesagt, unangenehme Gesellschaft, das.

Mittendrin Oberkommissar Rath, seine Frau Charly, sein einstiger Vorgesetzter und jetziger Privatdetektiv Böhm, der einem alten mysteriösen Fall nachhängt, der unversehens wichtig wird durch den Taxiunfall, den Rath zu bearbeiten hat. Dazu kommt der berühmte Kriminaldirektor Ernst Gennat, Buddha genannt, und andere Kriminalkollegen als notwendige Chargen. Und natürlich spielt Berlin, schnoddrig, ruppig, elend in Kreuzberg und Wedding, bürgerlich in Charlottenburg, wimmelig am Alexanderplatz, die Hauptpartie.

Illustration: Max de Radiguès/Reprodukt Verlag (Foto: N/A)

Geraucht wird unentwegt, Nazis zücken Ernte 23, Rath greift bei jeder Gelegenheit zur Overstolz, seine Frau bevorzugt "aus gutem Grund ist Juno rund", und auch die Marke Eckstein vergisst Volker Kutscher nicht im siebten Roman um seinen Oberkommissar Gereon Rath. Übrigens wurden alle diese einst von verschiedenen Herstellern vertriebenen Marken im Jahre 1935, in dem die Handlung spielt, von Reemtsma fusioniert.

Kutscher gelingt es ganz gut, Zeit- und Ortskolorit so zu beschreiben, dass nicht nur reine Kulissenmalerei dabei herauskommt. Dennoch wirkt manche Detail- und Dialektversessenheit mehr deutsch-gründlich, als dass sie Stimmung und Atmosphäre zusätzlich verdichten könnte. Auch ist Kutscher fast allen seinen Hauptpersonen so nah, dass sie kaum richtig greifbare Gestalt annehmen können. Doch den Fall des selbstmörderischen Unfalls, den der Taxifahrer Otto Lehmann verursacht, entwickelt Kutscher zu einem relativ spannenden Geflecht: Göring soll erpresst werden, Morphium ist im Spiel, Nazigrößen und ihre jeweiligen Unterabteilungen misstrauen sich gegenseitig und scheuen nicht vor kriminellen Machenschaften zurück. Böhm und seine Mitarbeiterin Charly helfen Emigranten, während Rath glaubt, er könne als braver Kriminaler, der seine Fälle ermittelt und löst, nicht von der immer offener verbrecherischen Nazipolitik kontaminiert werden. Ein Irrtum.

Parallel erzählt Kutscher "eine andere Geschichte", zwischen 1918 und 1926 angesiedelt, nämlich die vom Unterweltkönig Marlow und wie er dazu wurde. Da entwickelt sich einer nicht zum simplen Bösewicht, sondern es entsteht schon ein infernalischer Charakter größeren Stils aus der Konfrontation mit einem rassistischen Vater in der kaiserlichen Kolonie Tsingtau, aus der bitteren Liebesgeschichte mit einer Chinesin und ihrem Sohn. Der wird später seine rechte Hand.

Volker Kutscher: Marlow. Der siebte Rath-Roman. Piper Verlag, München 2018. 528 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

Dieser Liang Kuen-Yao, der so gerne heiraten möchte, wobei ihm Charly helfen soll, ist mit seinen undurchdringlich schwarzen Augen wie mit seiner Präsenz die anrührendste, auch geheimnisvollste Gestalt im ganzen Karussell. Er ist plötzlich da und genauso plötzlich verschwunden. Kutscher vermag es, diesen gleichwohl auch zu Mordtaten fähigen Mann nicht als nur irgendwie exotischen Typen darzustellen, sondern widmet sich ihm mit Behutsamkeit und Empathie.

Wie die Nazis ihn befremdet bis verächtlich ansehen, wie er böse Blicke auf sich zieht im vom Rassistengift durchseuchten Deutschland. Das kann man jederzeit auch heute erleben, wo beispielsweise Musiker aus Asien noch immer gern als mechanisch und seelenlos gering geschätzt werden. So schimmert bei aller lokalkoloristischen Berlinfülle und Geschichtsträchtigkeit überraschend deutlich auch die Gegenwart durch. Das ist wahrlich nichts Schlechtes in einem Roman, der nicht nur die Krimigenreregeln erfüllen will.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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