Ausstellung:Werkzeuge der Gewalt

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Die amerikanische Installationskünstlerin Cady Noland war 20 Jahre lang eine legendär Verschwundene der Kunst. Das Frankfurter Museum MMK entdeckt sie triumphal wieder.

Von Catrin Lorch

Der Name kündigt eine Sensation an. "Cady Noland", das ist der ganze Titel, den Susanne Pfeffer ihrer ersten Ausstellung als Direktorin des Museums MMK in Frankfurt mitgibt, und es ist kein falsches Versprechen: Die erste Ausstellung der amerikanischen Künstlerin seit mehr als zwanzig Jahren ist eröffnet.

Cady Noland ist ein Mythos für die Kunst, vergleichbar anderen großen Abwesenden, wie es J. D. Salinger in der Literatur war. Als sich Noland, geboren 1956 in Washington, nach großen Museumsausstellungen Mitte der Neunzigerjahre zurückzog, galt sie als Star. Niemand hatte den amerikanischen Traum so demontiert wie sie, die Installationskünstlerin, die Waffenhalfter, Absperrgitter, verzinkte Einkaufswagen, Wimpel und Baseballschläger als ordentliche Stillleben arrangierte.

Sie erinnerten an ein "verlassenes Picknick am Nationalfeiertag in den schlechteren Vierteln der Stadt", wie Roberta Smith in der New York Times schrieb, "und bilden so die dunkle Seite der nationalen Psyche ab". Doch auch Kritiker, die mit Ready-Mades, Appropriation Art und Popkultur vertraut waren, fremdelten damals mit einer Installation wie "Publyck Sculpture" aus dem Jahr 1994, einer Kinderschaukel aus verzinktem Gerüst, Aluminiumketten und schweren Trucker-Reifen.

Jetzt ragt "Publyck Sculpture" in der Eingangshalle des Museums hoch auf. Und befremdet noch immer. Denn das martialische Konstrukt erinnert nicht nur an die Spielgerüste, die als öffentliche Skulpturen gesehen werden können, sondern auch an Lynchmorde in den USA, bei denen Menschen in Reifen angezündet werden. Cady Noland wurde zu der Skulptur durch ein Foto inspiriert, auf dem das Wüstenversteck des Massenmörders Charles Manson zu sehen war - und davor eine ebensolche Schaukel. Allerdings ist ihre Version sauber, unangetastet funkelnd, geschrubbt hell, fast riecht man frisches Gummi.

Für ihren Abschied aus der Kunst führte Cady Noland ein Wort ein: "Disenvow", sich lossagen

Viele Künstler sind Cady Noland gefolgt, haben die Devotionalien des White Trash in ihre Studios gekarrt, die dazugehörigen Bilder und Motive ausgewertet - von Richard Prince über Mike Kelley, Jason Rhoades und Matthew Barney bis zu Cameron Jamie. Aber niemand ist so kühl vorgegangen wie die Bildhauerin, die letzte Alkoholreste mit Wattestäbchen aus den zerknickten Budweiserdosen getupft haben muss, bevor sie für "Deep Social Space" neben der Stange positioniert wurden, über der eine gefaltete und gebügelte US-Flagge abgelegt ist: Gegenstände wie frisch ausgepackt, vom Baseballschläger bis zum Patronengürtel.

Als Dreißigjährige hatte Cady Noland das Manifest "Zu einer Metasprache des Bösen" formuliert, in dem sie das, was man als psychopathologisches Verhalten definiert, als außerhalb jeder Norm, in der Populärkultur nachweist. Das Asoziale las sie aus der Regenbogenpresse heraus, aus Fernsehserien wie "Dallas" und "Denver", aus den roten Haaren des Mörders in Alfred Hitchcocks Thriller "Frenzy". Warum sie sich nachgerade obsessiv mit Gewalt beschäftige, wurde sie zu einer Zeit gefragt, als die Amerikaner Menschen hinrichteten, Amok liefen und Krieg führten. Einer Reporterin des Journal for contemporary art antwortete Noland mit einer der brillantesten Anmerkungen zur latenten Gewaltbereitschaft der amerikanischen Gesellschaft überhaupt: "In den Vereinigten Staaten haben wir derzeit keine ,Sprache der Uneinigkeit'." Das sei nicht nur der Grund, warum Frustrationen an anderen Individuen ausgelebt würden, sondern auch dafür, dass diese Aktionen gesellschaftlich durchaus als Ventil dienten: "Die Menschen klagen über 'all die Gewalt heutzutage', aber ohne diese vereinzelten Formen der Entladung würde es zu wohl zu mehr Unruhen und Ausbrüchen von Unzufriedenheit in kollektiver Weise kommen."

Ähnlich analytisch - so möchte man es unterstellen - zementierte Cady Noland auch ihren Abschied aus der Kunst. Das Verb, das sie in die Kunstgeschichte einführte, ist seither: "to disenvow", was wohl am besten mit "sich lossagen" zu übersetzen ist. Cady Noland war 1991 schon zur Whitney Biennale eingeladen worden und hatte bei der Documenta im Jahr 1992 in einem Parkhaus eine gewaltige Installation aus Autowracks aufgebaut, nach dem Rückzug der Künstlerin zog das bislang schon hoch gehandelte Werk im Preis gewaltig an. Nachdem im Frühjahr 2012 ihre Arbeit "Oozewald" mit einem Zuschlag von 6,6 Millionen Dollar zum teuersten Werk einer lebenden Künstlerin geworden war, zwang sie Sotheby's im Herbst dazu, ihr "Cowboys Milking" aus einer Auktion zu nehmen, indem sie dem Werk die Signatur entzog - sich lossagte.

Rückblickend erscheint die kalkulierte Autodestruktion um einiges nachhaltiger - und zudem weniger populistisch - als die kürzlich bei Sotheby's von Banksy zelebrierte Zerstörungsaktion. Ähnlich verhält es sich auch mit der Wiederentdeckung dieses Werks, das nun in Frankfurt unvermittelt zu einem unüberhörbaren Kommentar der Gegenwart wird.

Cady Noland hat Populärkultur und Warenwelt nicht nur zitiert, sondern nachgewiesen, wie Aggressionen über Gegenstände und Bilder in das Unbewusste einer ganzen Gesellschaft geraten - und dies zu Zeiten, in denen noch nicht Trump, sondern Bush herrschte und Begriffe wie Brexit oder Merkel-Flüchtling noch nicht erfunden waren. Dass Cady Noland schon vor Jahrzehnten einen Pranger in Aluminium goss und genau die Gitterzaun-Module, aus denen man heute Landesgrenzen hochzieht, gegen Ausstellungswände lehnte, lässt sie als visionäre Künstlerin erscheinen. Ihr Werk spannt sich wie ein breites, tragfähiges Gerüst unter den vielen zeitgenössischen Arbeiten, die - politisch wach, technisch unbefangen, konzeptuell wagemutig - Fragen an die Gegenwart stellen.

Die anderen Standorte des MMK flankieren mit Werken von größter Tagesaktualität

Dass diese Künstlerin so lange verschwunden war, scheint kaum vorstellbar. Wie auch der Umstand, dass Susanne Pfeffer Mühe hatte, Kontakt zu der ihr aufzunehmen - mehr als eine Telefonnummer gab es nicht. Wobei die Direktorin zunächst nicht mehr wagte, als anzufragen, ob Cady Noland sie bei der Auswahl einiger Werkgruppen unterstützen werde. Daraus entwickelte sich eine monatelange, immer engere Kooperation. Cady Noland selbst half mit, verschollene Kunstwerke aufzuspüren - viele hatten einige Male den Besitzer gewechselt.

So arbeiteten Direktorin und Künstlerin gemeinsam am Modell des spitz zulaufenden Museumsbaus und präsentierten zwischen Nolands mehr als achtzig Werken auch Kunst aus der Sammlung des MMK. Passgenau konfrontieren sie Noland mit Andy Warhols "Electric Chair", mit Arbeiten von Steven Parrino und Elaine Sturtevant. Dass diese Bestandsaufnahme auch vor festen Einbauten - wie Claes Oldenburgs "Bedroom" (abgebaut) und Joseph Beuys "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" (eingemauert), nicht anhielt, ergibt die härtesten Momente.

Unweit der Wand, die jetzt die Großinstallation von Beuys verdeckt, hängt sein "Boxkampf für direkte Demokratie" aus dem Jahr 1972 in einem passgenau hellgrau verzinkten Kasten. Und wer sich im ersten Stock suchend nach dem "Bedroom"-Interieur von Claes Oldenburg umschaut, entdeckt gegenüber auf einer kleinen Treppe dessen schlaffen Läufer "Bacon/Carpet". Ausgeräumt. Eine der schönsten Begegnungen ist das Gegenüber von schlichten, harten Zinkstangen, mit denen Noland einen Raum halb versperrt, und der Farbfeldmalerei "Touch" ihres Vaters Kenneth Noland aus dem Jahr 1963.

Emeka Ogbohs „Sufferhead Original (Frankfurt edition)“, 2018, in der Ausstellung „Weil ich nun mal hier lebe“ im MMK Tower. (Foto: Courtesy Emeka Ogboh)

Unsentimental? Auf jeden Fall. Vor allem ist es frappierend, wie wenig dieses Werk gealtert ist - obwohl es jetzt mit Nachdruck seinen Platz in der Kunstgeschichte einfordert. Historisch wirkt es höchstens dann, wenn man kurz vermeint, ein Smartphone zu entdecken, wo doch nur ein Metallstück liegt. Hätten in diesem Werk auch Twitter oder Facebook ihren Raum? Arbeitet Cady Noland womöglich an neuen Installationen? Interessiert sie sich für die Politik der Gegenwart?

Susanne Pfeffer, die ihrer sensationellen Ausstellung nicht mehr als ein kleine Broschüre mitgegeben hat, mit einem knappen Vorwort und bestechend formulierten Werkbeschreibungen, sagt, solche Fragen zu stellen, sei ihr respektlos vorgekommen. Doch das, was an Tagesaktualität fehlt, hat Susanne Pfeffer an den anderen Standorten des MMK hinzugefügt. Im Tower zeigt sie die Ausstellung "Weil ich nun mal hier lebe" mit Arbeiten, die sich mit der politisch zunehmend brisanten Frage der Zuwanderung und Migration beschäftigen - von Forensic Architecture bis Emeka Ogboh, Hito Steyerl und Harun Farocki: Ein zeitgenössischer Realismus, mit dem sich vor allem Video- und Filmkünstler der Lebensrealität zuwenden. Der Rundgang durch alle drei Standorte des Museum MMK ist der beste Parcours, den die Kunst in diesem Jahr aufgebaut hat.

"Cady Noland" bis 31. März im Frankfurter Museum MMK.

© SZ vom 02.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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