Ausstellung:Selbstporträts

Lesezeit: 1 min

(Foto: Bartosz Stawiarski/PR)

Nie gab es soviele Selbstbildnisse wie heute. Macht schließlich jeder permanent, dem Smartphone sei Dank. Guter Zeitpunkt für einen Londoner Ausstellungszyklus, mit viermal demselben Thema.

Von Alexander Menden

Ein Selbstporträt ist heute in der Regel ein aus erhöhtem Blickwinkel geknipstes, mittels Filter aufgehübschtes Grinsefoto, interessanter Hintergrund optional. Smartphones haben das Selbstporträt, das selbstreflexivste aller Genres, demokratisiert und gleichgeschaltet. Die Kunstsammlung des libanesischen Ehepaars Maria und Malek Sukkar, aus der die Londoner Whitechapel Gallery im Laufe des Jahres in einer vierteiligen Ausstellungsreihe eine Auswahl zeigen wird, trägt diesem Status des Selbstporträts Rechnung: Sie heißt "ISelf Collection" und reagiert unter anderem auf die Veränderungen in der menschlichen Identitätsprojektion, die das allgegenwärtige Selfie ausgelöst hat. Der nun eröffnete erste Teil "Self-Portrait as the Billy Goat" konzentriert sich auf das künstlerische Individuum (die weiteren Teile erforschen die Beziehung zum Gegenüber, zur Gesellschaft sowie die Grenzen von Körper und Objekt). Kuratorin Emily Butler hat sich auf Arbeiten fokussiert, die teils hochabstrakt, teils spielerisch-mittelbar an das Selbstporträt herangehen, also einen Gegenentwurf zum Selfie darstellen. Das titelgebende Werk des 1967 in Polen geborenen Pawel Althamer ist eine lebensgroße Skulptur eines Mannes mit Ziegenkopf in der Pose von Rodins "Denker". Diese elegische, leicht sinistre Gestalt präsentiert sich als Manifestation psychischer Vorgänge, ebenso wie "Infinity Nets YSOR" (2011) der Japanerin Yoyoi Kusama, Teil einer Serie grauweißer, abstrakter "Geisteslandschaften". Louise Bourgeois ist mit zwei Arbeiten vertreten, einer titellosen, aufrechten Bronzeskulptur von 1949, die einen Geburtsvorgang andeutet, sowie einem ebenfalls unbetitelten Spätwerk, bestehend aus drei fötusartigen Schaumstoffpuppen. Bourgeois empfand alle ihre Werke als Erweiterungen ihres eigenen Körpers, sie waren sämtlich Selbstdarstellungen. Sogar jene Arbeiten, die dem klassischen Selbstporträt am nächsten kommen, wie André Bretons Serie von Passbildautomaten-Fotos oder Cindy Shermans Verwandlung in Hollywood-Schauspieler, sind entfremdende Rollenspiele. Dass sie sich der Entfremdung bewusst sind, hebt sie wohltuend von der Selfie-Flut ab.

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: