Ausstellung:Nietzsche komponiert

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Von lothar müller

Ehe er zu Dynamit wurde, war Friedrich Nietzsche ein deutscher Knabe und Jüngling. Der Knabe hörte im Röckener Pfarrhaus den Vater am Klavier improvisieren. Als Fünfjähriger, im Jahr 1849, in dem der Vater starb, zog er die ersten Notenlinien. Ein Jahr später, schon in Naumburg, schenkte die Mutter ihm ein eigenes Klavier. Der Jüngling in Schulpforta war es gewohnt, Klavierauszüge zu machen, Tonsatzübungen. 400 Blatt mit Kompositionen gibt es in Nietzsches Nachlass in Weimar. Sie geistern durch seine Biografien, jetzt wird eine Auswahl daraus erstmals gezeigt, in den pultartigen weißen Vitrinen des Goethe-Schiller-Archivs (Nietzsche komponiert. Notenmanuskripte aus dem Nachlass. Bis 14. Juni). Man kann hier sehen, wie der Jüngling "Das zerbrochene Ringlein" nach Eichendorff in Noten setzt, und die letzte Strophe des selbstverfassten Textes zum Lied "Die Fischerin" gibt es nur hier, auf dem Notenblatt. Mit feiner Stahlfeder komponiert der Jüngling, immer vom Klavier her, dem Naumburger Freundschaftskult mit Gustav Krug und Wilhelm Pinder unterlegt er eine Tonspur, auch will er das Weihnachtsoratorium reformieren. Lange bevor er den Komponisten kennenlernt, studiert er Wagners "Tristan und Isolde" im Klavierauszug. Im Stil von Liszt schreibt er ungarische Melodien, skizziert eine symphonischen Dichtung, über den Ostgoten Ermanarich, zu den Notenblättern gibt es eine Hörstation.

Als er sich von Wagner längst abgewandt hat, im November 1881, hört er in Genua zum ersten Mal Bizets "Carmen". Im Klavierauszug, den er sich rasch besorgt, steht am Rand des Schicksalsmotivs von Don José: "Ein Epigramm auf die Leidenschaft, das Beste, was seit Stendhals ,De l'amour' geschrieben worden ist." Und am Rand von Carmens "Habanera": "Eros, so wie die Alten es empfanden." In der letzten Vitrine liegt das "Gebet an das Leben", auf einen Text von Lou Andreas-Salomé. Es ist das einzige gedruckte Werk des Komponisten Nietzsche.

© SZ vom 22.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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