Ausstellung:Licht, Luft und Schuhleisten

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Walter Gropius' Idee vom "Bauen als Gestaltung von Lebensvorgängen" wurde selten so erfolgreich umgesetzt wie beim Fagus-Werk in Alfeld (Leine). (Foto: Fagus-Galerie/Carsten Janssen)

Walter Gropius baute das Fagus-Werk im niedersächsischen Alfeld, das heute zum Weltkulturerbe zählt. Dort informiert jetzt eine Schau über "Die Provinz und das Bauhaus".

Von Alexander Menden

Eine Ecke des Fundaments des Fagus-Werks stand bereits, als der Alfelder Schuhleistenfabrikant Carl Benscheidt einen jungen, unbekannten Architekten namens Walter Gropius beauftragte, ihm ein Manufakturgebäude zu bauen. Der fragliche Auftrag war ja längst vergeben, und zwar an den ungleich renommierteren Eduard Werner in Hannover. Doch Benscheidt änderte seine Meinung, nachdem ihn 1910 ein Brief von Gropius erreicht hatte, in dem dieser nicht nur seine Dienste "für den bevorstehenden großartigen Fabrikneubau" anbot, sondern auch auf seine verwandtschaftlichen Beziehungen in die südniedersächsische Kommunalpolitik hinwies ("über meine Person und Bautätigkeit gäbe Ihnen zunächst mein Schwager, Herr Landrat Burchard in Alfeld, Auskunft").

Doch was den Fabrikanten, der im Streit von seinem vormaligen Arbeitgeber Carl Behrens geschieden war, letztlich überzeugte, waren die revolutionären Ideen, die der 28-jährige Gropius mitbrachte. Das dreistöckige Hauptgebäude aus gelbem Klinker wies eine einzelverglaste Fassade auf. Besonders die stützenfreien Ecken, deren Last zwei kreuzende Stahlträger seitlich auf Backsteinpfeiler abführen, ermöglichten eine spektakuläre visuelle Leichtigkeit und wiesen auf die heute übliche Skelettbauweise voraus. Benscheidt erkannte einerseits den "Reklameeffekt" des "mustergültigen Baus", der gegenüber der Fabrik des Konkurrenten Behrens und unmittelbar neben der Eisenbahnstrecke Frankfurt - Hamburg entstand. Andererseits lag ihm durchaus am Wohl der Arbeiter, und er teilte Gropius' Idee, der Arbeit müssten "Paläste errichtet werden, die dem Fabrikarbeiter nicht nur Licht, Luft und Reinlichkeit geben, sondern ihn noch etwas spüren lassen von der Würde der gemeinsamen großen Idee, die das Ganze treibt".

Seit 2011 ist das Fagus-Werk Unesco-Weltkulturerbe, aber eben auch noch immer eine funktionierende Fabrik, in der die Nachfahren Carl Benscheidts neben Messtechniksystemen und Funkenlöschanlagen bis heute Schuhleisten herstellen. Ein Gebäude, regelmäßig und modular, unmonumental und elegant, reduziert und gebrauchsorientiert - kurz, ein Prototyp jenes Stils, den Gropius acht Jahre nach dem Bau des Werks in Alfeld mit der Gründung des Weimarer Bauhauses konsolidieren sollte.

Rote statt gelbe Ziegeln: Als junger Mann war Walter Gropius pragmatisch

Im ehemaligen Lagerhaus der Fabrik, in der früher die Buchenholzrohlinge für die Schuhleisten trockneten, präsentiert die Fagus-Galerie daher zum Bauhaus-Jubiläum eine kleine Sonderausstellung mit dem Titel "Mut - Die Provinz und das Bauhaus". Gropius' Karosserie-Entwürfe für die Frankfurter Adlerwerke aus den späten Zwanzigerjahren sind hier ebenso zu sehen wie das Firmenlogo, das er gleich mit umgestaltete. Während Frankfurt wohl kaum als echte Provinz durchgeht, sind die zeitlosen Designs Wilhelm Wagenfelds für die Firma Fürstenberg ein Paradebeispiel für das Zusammenwirken des Bauhauses mit einem regionalen Mittelstandsunternehmen. Wagenfelds "Service 639" von 1934 wird bis heute in der südniedersächsischen Porzellanmanufaktur produziert. Und im unweit gelegenen Lauenförde stellt die Firma Tecta ihre Bauhaus-Reeditionen her.

Man wird in diesem an Bauhaus-Retrospektiven überreichen Jahr wenige Orte finden, an denen die Umsetzung von Gropius' Idee vom "Bauen als Gestaltung von Lebensvorgängen" so erfolgreich und langlebig umgesetzt wurde wie in Alfeld - und das, bevor das Bauhaus überhaupt existierte. Dass der Architekt als junger Mann flexibler und pragmatischer war als der ältere, gestrenge Formzuchtmeister Gropius, lässt sich übrigens an einem kleinen Detail ablesen: Das Teilfundament, das der ursprünglich von Benscheidt beauftragte Eduard Werner bereits gelegt hatte, bestand aus roten Ziegeln. Obwohl das fertige Gebäude aus gelben Ziegeln errichtet wurde, behielt Walter Gropius diesen Aspekt kurzerhand bei, und gestaltete den Rest des Fundamentes auch in Rot.

Mut. Die Provinz und das Bauhaus . Fagus-Werk, Alfeld, bis 3. November. Informationen unter: www.fagus-werk.com

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir an mehreren Stellen das Fagus-Werk fälschlicherweise in Alsfeld verortet. Korrekt ist jedoch, dass sich das Unesco-Welterbe in der südniedersächsischen Stadt Alfeld (Leine) befindet - und nicht im mittelhessischen Alsfeld.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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