Ausstellung in Düsseldorf:Wie ein Vermächtnis

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Der Fotograf Peter Lindbergh ist vergangenen Herbst überraschend gestorben. Seine Werkschau für den Kunstpalast Düsseldorf hatte er da schon akribisch vorbereitet. Jetzt wird die Schau eröffnet.

Von Johanna Pfund

Viele Geschichten werden unerzählt bleiben. Zum Beispiel diejenige, wie Peter Lindbergh in den kommenden Jahren sein Ideal der Schönheit - für ihn eine Frage der Persönlichkeit - weiterentwickelt hätte. Womöglich hätte er die Schauspielerin Helen Mirren noch einmal fotografiert - mit all ihrer in Jahrzehnten erworbenen starken Ausstrahlung? Oder hätte der als Modefotograf berühmt gewordene Lindbergh vielleicht noch einmal die Geschichte eines Straftäters in einem Video erzählt? Man wird auf diese Geschichten verzichten müssen. Peter Lindbergh ist im September 2019 überraschend gestorben. Fast schon prophetisch wirkt daher der Titel der Ausstellung, die diese Woche im Düsseldorfer Museum Kunstpalast eröffnet: "Peter Lindbergh - Untold Stories".

"Die Ausstellung ist so etwas wie ein Vermächtnis", sagt Felix Krämer, seit zwei Jahren Direktor des Kunstpalasts. Es war seine Idee gewesen, eine Ausstellung mit Werken des Modefotografen in den Kunstpalast zu holen, zu zeigen, wie der Fotograf Ende der 80er-Jahre mit dem bis dahin üblichen Schönheitsideal gebrochen hat, und wie er das Ideal verändert hat. Krämer ist nicht der Erste, der die Fotografien Lindberghs in den Kunstbereich geholt hat: Die Kunsthal Rotterdam und die Kunsthalle München etwa widmeten Peter Lindbergh vor drei Jahren eine Schau mit dem Untertitel "From Fashion to Reality". Und seine Werke befinden sich in den Sammlungen von Häusern wie dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Victoria & Albert Museum in London oder dem Centre Pompidou in Paris. Die Fotografien sind unbestritten in der Kunst angekommen, wobei aber Düsseldorf und Lindbergh eine ganz persönliche Beziehung haben.

Hier in Düsseldorf hat Lindbergh sein Handwerk gelernt. Relativ spät im Leben, er war schon 27. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon einige Stationen hinter sich. 1944 wurde er im heute polnischen Lissa als Peter Brodbeck geboren. Die Familie flüchtete kriegsbedingt nach Duisburg. Dort wuchs Peter Lindbergh auf, er spielte Handball und Schlagzeug und absolvierte eine Lehre zum Schaufensterdekorateur. Etwas Kreatives also. Um der Wehrpflicht zu entgehen, ging er in die Schweiz, dann nach Berlin, wo er 1962 begann, Malerei zu studieren. Zurück in Westdeutschland hatte er sieben Jahre später seine erste Ausstellung in Krefeld. Das war es dann aber auch mit der klassischen Kunst - Lindbergh begann kurz darauf mit der Ausbildung beim Werbefotografen Hans Lux in Düsseldorf. Sein erster und einziger Chef übrigens, wie Lindbergh vor einigen Jahren bei der Eröffnung seiner Ausstellung in München sagte. Dem einstigen Lehrmeister blieb er Zeit seines Lebens verbunden, er hatte ihn da auch zur Vernissage eingeladen.

Aber zurück nach Düsseldorf: Hier schlug Peter Lindbergh nicht nur eine neue Richtung ein, hier änderte er auch seinen Namen von Brodbeck in das weltläufig klingende Lindbergh. Der Rest ist weitgehend bekannt: Durchbruch mit einer Serie im Stern 1978, Umzug nach Paris, Fotografien für Vogue, den New Yorker, Rolling Stone. Wegweisend für eine Neuausrichtung der Modefotografie, bei der das Model in den Vordergrund rückte, war sein Cover für die britische Vogue 1990 mit Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington, Cindy Crawford. Allem Erfolg in der Welt der Schönen und Reichen zum Trotz ist Lindbergh der Gleiche geblieben. Freundlich, zugänglich, ein Freund der bequemen Cargohose und simplen Kleidung.

Zugänglich zeigte er sich auch, als Felix Krämer ihn fragte, ob er eine Ausstellung im Kunstpalast machen wolle. Die Idee habe Lindbergh gut gefunden, erzählt Felix Krämer. Einer Retrospektive aber habe der Fotograf eine Absage erteilt mit der Begründung: "So alt bin ich noch nicht." Statt dessen einigten sich Krämer und Lindbergh darauf, dass es ein "Best of" werden sollte. Eine Schau der Werke, die ihm selbst am wichtigsten waren.

Mit der ihm üblichen Akribie ist Lindbergh ans Werk gegangen. Er hat ausgewählt, er hat bestimmt, wie die Bilder kombiniert werden, wie sie hängen, welches Glas oder welche Rahmung gewählt werden sollte. Manche Formate sind riesig, andere überschaubar groß. "Es ist ein intuitiver Zugang", sagt Felicity Korn, Referentin des Direktors. Unter anderem hat Lindbergh Bildabfolgen aus einem einzigen Shooting ausgewählt, teils hat er auffällig kombiniert, wie es Kuratoren wohl nicht immer machen würden. Umso mehr ist die Schau sein Vermächtnis, in 140 Bildern.

Lindbergh erzählt hier seine ganz eigene Geschichte. Manche der Schwarz-Weiß-Fotografien kennt man, manche nicht, manche würde man in der Werkschau vermuten. Allen voran die berühmten Mädchen am Strand in ihren weißen Hemden und der gelösten Stimmung, die "White Shirts" am Strand von Malibu mit Estelle Lefébure, Karen Alexander, Rachel Williams, Linda Evangelista, Tatjana Patitz und Christy Turlington. Man findet sie nicht. Stattdessen entdeckt man eine junge Claudia Schiffer, fotografiert in Santa Monica im Jahr 1997. Ein Mädchen, fast ungeschminkt, neugierig in die Welt blickend, ohne abgeklärte, maskenhaft getünchte Model-Ausstrahlung, sie sieht nahbar aus. Auch eine Porträtserie von Naomi Campbell aus dem Jahr 2000 hängt in der Schau. Naomi, die dem Betrachter den Blick zuwendet, Naomi im Profil, Naomi frontal. Es ist eine Persönlichkeitsstudie, sie wirkt kritisch, auch herausfordernd.

Auch manche der Kombinationen, die Lindbergh für die Ausstellung gewählt hat, wirken ungewöhnlich. Ein Porträt von einem in sich gekehrt nach unten blickenden Antonio Banderas findet sich neben einem Akt von Karen Elson. Elson wiederum kombiniert Lindbergh immer wieder neu; nicht nur neben dem Porträt von Banderas, auch neben Schiffer hängt ein Bild von ihr, und er gibt ihr auch den großen Auftritt als sitzender Akt.

Weniger bekannt sind die Landschaften oder sollte man besser sagen, die von Menschen geschaffenen Landschaften, die Lindbergh fotografiert hat, und die in Düsseldorf ausgestellt sind. Das Kino der 20er-Jahre wird lebendig. Die Straßenlampen vor einer weiten Fläche in Nevada, oder der Hinterhof der Universal Studios in Hollywood, der eine bedrückende Leere zeigt.

Bekanntes hat Lindbergh aber auch ausgewählt. Die Fotografie, die Angela Lindvall und Chris Dye vor den Warner Bros. Studios in Burbank zeigt, offensichtlich kurz nachdem sie das Wort "Peace" auf den Asphalt gesprüht haben, zählt zu denen, die man Ikone nennen kann. Oder ein Bild aus den frühen Jahren: Michaela Bercu, Linda Evangelista und Kirsten Owen stehen in Anzügen in einer Maschinenhalle, als wären sie in der Industriewelt erstarrt. In diese Welt versetzt Peter Lindbergh auch Lynne Koester im Jahr 1984. Er lässt sie in einer Szene, die an Charlie Chaplins Stummfilmklassiker "Moderne Zeiten" erinnert, an riesigen Hebeln hantieren, in ärmellosem weißem T-Shirt und Latzhose, die Augen fragend nach oben gerichtet.

Die größere Überraschung hat sich Lindbergh für das Finale aufbewahrt. Einen Film, in dem 30 Minuten lang nichts passiert. Eine halbe Stunde sieht man den in Florida wegen Mordes zum Tode verurteilten Elmer Carroll. Lindbergh hat den Film 2013 gedreht, hinter einem Spiegel stehend, mit Einverständnis des Häftlings. Ausgangspunkt sei eine Diskussion mit Freunden über Sinn und Unsinn der Todesstrafe gewesen, erzählt Felicity Korn. Und die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung für grausame Taten, die dieser Häftling tatsächlich begangen hat. Seine Schuld ist unbestritten - und dennoch lässt der Film schaudern. "Der Film zeigt eine überraschende und bisher unbekannte Seite von Lindberghs Arbeit. Er hat sich darin mit elementaren Fragestellungen auseinandergesetzt, wie Freiheit und Empathie." Und so kommt man in der Schau letztlich auch dem Fotografen näher, seinem Blick auf und für die Menschen, seiner Suche nach dem Wesentlichen.

© SZ vom 03.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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