Ausstellung:Der Zauber von Lug und Trug

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Die Schau "Lust der Täuschung" in der Kunsthalle München führt auf unterhaltsame Weise all die Möglichkeiten vor, mit denen dem menschlichen Auge etwas vorgegaukelt werden kann.

Von Gottfried Knapp

Wer seinen Augen traut, der kann in dieser Ausstellung eine Menge erleben, ja wer sich ganz dem Gesichtssinn hingibt, der wird des Öfteren heftig staunen und manchmal sogar erschrecken. Hat man als Besucher die Schau betreten, muss man nur den Aufschreien folgen, die aus dem Nebenraum herüberschallen, wo die Virtual Reality Installation "Richie's Plank Experience" von ToastVR eingerichtet ist. Man wird zwar nicht gleich begreifen, warum die Leute, die auf einem flach am Boden liegenden Brett stehen und eine monströse Brille vor den Augen haben, Schreckenslaute von sich geben. Aber wenn man die faustdicke Brille selber aufsetzt und nach unten blickt, dann zittern einem die Knie, denn nun steht man plötzlich auf einem schmalen Steg, der sich in schwindelerregender Höhe über einem Abgrund nach vorne reckt. Man starrt aus luftiger Höhe in eine Häuserschlucht, die sich in unendliche Tiefen zu dehnen scheint. Versucht man aber den ersten Schritt auf dem schmalen Brett, dann glaubt man zu straucheln, denn man kann nicht sehen, wo die Füße hintreten. Man spürt zwar den Boden, auf dem man sicher steht, aber der nach allen Seiten erschreckend offene Raum, den die VR-Brille suggeriert, lässt einen verkrampft erstarren, lähmt alle Bewegungen, zu denen der Verstand ansetzt. Nimmt man aber die Brille wieder ab, dann kippt man zurück auf den festen Boden und schaut in die schmunzelnden Gesichter der Leute, die einen hoch in der Luft auf einem Brett haben balancieren sehen.

Was ähnelt dem realen Leben am ehesten: eine naturgetreue Plastik oder das Foto davon?

Im letzten Kabinett der Ausstellung erleben die Besucher eine ganz andere Täuschung. Sie blicken in einen dunklen, von wenigen Deckenlampen erhellten Gang, der ungefähr 30 Meter lang sein dürfte und am Ende auf eine Tür zuführt. Betritt man freilich den Tunnel, stößt man schon nach wenigen Schritten mit dem Kopf an die Decke und merkt, dass man einer Täuschung aufgesessen ist. Der Gang ist nur etwa acht Meter lang und verengt sich nach hinten so schnell und so gleichmäßig, dass man, auf seine perspektivischen Erfahrungen vertrauend, ihn für sehr viel länger gehalten hat. Wieder hat uns das Auge etwas suggeriert, was in Wirklichkeit ganz anders aussieht, ja in der angenommenen Form gar nicht existiert.

Biegt man danach in den Gang ein, der vom Ende der Ausstellung zurück ins Foyer führt, dann erschrickt man fast über die offensichtlichen Unebenheiten, die sich hier im gleichmäßig schwarz-weiß gemusterten Boden auftun. Man glaubt in mehrere ausgeprägt tiefe Dellen zu stolpern, obwohl man beim Hineintreten von der Tiefe gar nichts spürt. Wir lassen uns also wieder einmal hinters Licht führen und genießen den kleinen illusionistischen Effekt, der hier zelebriert wird. Lediglich durch ausgeklügelte Störungen in der Abfolge der schwarzen und weißen Quadrate, durch sanfte Kurvierungen der Querlinien wird hier ein sanftes Aufwölben oder Absinken des brettflachen Bodens im Flur suggeriert. Die Ausstellungsmacher entlassen uns also mit einem letzten schalkhaften Zwinkern in die nüchterne Alltagsrealität, in die vom Verstand kontrollierte Welt, in der schöne Illusionen, scherzhafte Trugbilder und raffinierte bildnerische Vortäuschungen von Dingen äußerst selten sind.

In der Ausstellung der Kunsthalle ballen sich solche optischen Vorspiegelungen zu einem Bildertaumel, der dem Publikum sichtlich Vergnügen bereitet. Da hat etwa der Maler Hans Peter Reuter 1976 auf einer flachen Leinwand einen mit blauen Kacheln ausgekleideten kubischen Tiefenraum mithilfe von Schräglinien und Schatteneffekten so verblüffend echt dargestellt, dass man hineingreifen möchte in den schimmernden Hohlraum. Oder die in eine Wand eingelassene, von hinten farbig angestrahlte ovale Glasscheibe von James Turrell mit dem Titel "KEPLER 452 b": Sie wechselt in fast unmerklichem Tempo die Farben, fesselt die Besucher aber noch viel mehr durch den Tiefenraum, in den man zu blicken glaubt, den man aber nicht fassen kann.

Bei den beiden hyperrealistisch vollplastischen Köpfen des Kanadiers Ivan Penny - er hat sich selber porträtiert, wie er jetzt aussieht und wie er vermutlich im Alter aussehen wird - erlebt man eine ganz andere Überraschung. Die vor der Wand schwebenden, überlebensgroßen Silikonbüsten sehen trotz Echthaar ein wenig wie gemacht aus. Die vom Künstler aufgenommenen beiden Schwarz-Weiß-Fotos der Köpfe aber, die daneben hängen, wirken, da das untere Ende der Plastiken nicht sichtbar ist, in erstaunlicher Weise realistisch glaubwürdig.

Schaut man sich freilich im Katalog die für den Druck routinemäßig gemachten Farbfotos der Köpfe an, wirken diese, da ihnen außer der fotografischen Illusion auch noch die Farbe zu Hilfe kommt, noch einmal lebensechter als die vom Künstler selber gemachten Schwarz-Weiß-Fotos, die man eben noch für die glaubwürdigsten gehalten hat.

Da Täuschung nur funktioniert, wenn die Getäuschten an das Ergebnis glauben, haben sich die Institutionen, die auf dem Glauben basieren, die Kirchen, alles Mögliche einfallen lassen, um die biblischen Ereignisse, die sich teilweise weit jenseits der erfahrbaren Realität abspielen, möglichst glaubwürdig, anschaulich, ja handgreiflich zu vermitteln. Die künstlerisch interessantesten Illusionen von Glaubensstoffen finden sich wohl an barocken Kirchendecken. Lediglich mit Kalk, Wasser und Pigmenten, also der Freskotechnik, haben perspektivisch gut geschulte Maler kultische Großereignisse und kosmische Sensationen über den Kirchenräumen explodieren lassen. Die Ausstellung in der Kunsthalle kann das natürlich nur andeuten; der Katalog aber liefert schöne Bildbeispiele.

Schon die alten Griechen haben die Kunst der Augentäuschung perfekt beherrscht

Die Maler der vergangenen Jahrhunderte, die mit ihren Künsten das Auge überlisten wollten, haben sich immer auf den griechischen Maler Zeuxis bezogen, der Trauben so echt malen konnte, dass Vögel sie von der Wand picken wollten. Doch als er sich mit seinem Kollegen Parrhasios in Sachen Naturähnlichkeit messen wollte, fiel er selber auf dessen Illusionstrick herein: Er wollte den Vorhang vor dem versprochenen Bild aufziehen, doch dieser Vorhang war nur auf die Wand gemalt.

Auch auf dem Gebiet der Plastik haben sich Künstler gerne auf eine antike Geschichte bezogen. Der zyprische Bildhauer Pygmalion soll sich so in das von ihm geschaffene plastische Idealbild einer Frau verliebt haben, dass die Götter die Figur zum Leben erweckten, als er sie umarmte. Seither haben sich viele Bildhauer in die Rolle Pygmalions hineingeträumt. Ja, der neben Duane Hanson bekannteste Figurenzauberer des Hyperrealismus, der Amerikaner John De Andrea, hat 1980 in seinem "Selbstporträt mit Skulptur" das Pygmalion-Motiv in quasi naturalistischer Übergenauigkeit nachgestellt. Er selber sitzt in Hemd und Jeans und mit einem Arbeitsgerät in der Hand auf einem Klappstuhl und blickt auf sein Geschöpf, die nackte Frauenfigur, die wie ein Modell vor ihm auf einem Sockel sitzt, aber dort so fleischlich echt aussieht, dass der Arbeitsprozess abgeschlossen sein dürfte. John muss die Frau jetzt nur noch umarmen.

Das breiteste Spektrum an schönen Augentäuschungen bieten natürlich die gemalten Trompe l'Œils, von denen die Ausstellung eine stattliche Auswahl zeigen kann. Motivisch besonders interessant ist ein kleines Ölbild, auf dem der elsässische Stilllebenmaler Sebastian Stoskopff 1651 einen schon etwas vergilbten Kupferstich gemalt hat, der mit rotem Siegellack auf dunklem Grund befestigt wurde. Da dieser abgemalte Kupferstich aber nur die grafische Nachahmung eines Gemäldes von Simon Vouet ist, könnte die Botschaft von Stoskopff so lauten: Die Malerei ist allen anderen Bildkünsten überlegen; sie liefert den Stoff, den die Kupferstecher mit grafischen Mitteln zu kopieren versuchen; sie kann aber auch einen Kupferstich mit all seinen Mängeln und seinen Fehlern im Papier perfekt imitieren.

Vom letzten Raum der Ausstellung aus kann man ein Kabinett betreten, in dem auf zwei gegenüberliegenden Wänden aufeinander abgestimmte Videos ablaufen. Sie suggerieren einem, dass man auf einem Wagen steht, der auf Schienen gemächlich durch ständig wechselnde Räume und Landschaften fährt. Die Installation "Phantom Ride" des Australiers Daniel Crooks vermittelt eine Ahnung davon, zu welchen Illusionswundern die Digitaltechnik bald schon fähig sein dürfte.

Zum Schluss sei der "Hidden Chairs Shaker" von Benoît Convers erwähnt. Das Ganze sieht aus wie ein Stuhl mit verkrüppelten Arm- und Rückenlehnen, in den man sich allenfalls von der Seite her setzen könnte. Doch wenn man genügend weit zurücktritt, schieben sich die schiefen Stangen perspektivisch so zusammen, dass sie einen bequemen Stuhl simulieren, in den man sich vorne hineinsetzen kann.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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