Ausstellungsprojekt "Smell it!":Hier riecht's

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In Bremen widmen sich acht Ausstellungshäuser gemeinsam dem Thema Geruch. Dabei stinkt und duftet es überraschend wenig, aber das hat seinen Grund.

Von Till Briegleb

Kunstwerke, die riechen, bleiben besonders intensiv in Erinnerung. Der große Kreis aus 108 Pfund getrockneten Damaszener Rosen, mit denen Herman de Vries 2015 den Holländischen Pavillon der Biennale Venedig in den Duft von Tausendundeiner Nacht tauchte, oder die 80 Tonnen Zürcher Fäkalien in Trockenblöcken, die Mike Bouchet bei der Manifesta 2016 im Löwenbräu-Areal ausstellte, markierten Extrempole der vergangenen Jahre für Kunstwerke, die vor allem die Nase beschäftigten. Und trotzdem ist Geruch in der Kunst eine Rarität. Nur wenige Künstler interessieren sich überhaupt für die Ansprache an diesen Sinn, und wenn, dann meist in provozierender Absicht.

Kai Althoffs und Lutz Brauns verwüstete Plattenbauwohnung bei der 4. Berlin Biennale 2006 roch nach den menschlichen Ausscheidungen, die die Künstler dort hinterlassen hatten. Der Schweizer Dieter Roth gründete und bestückte über zehn Jahre ein "Schimmelmuseum". Und das Parfüm "Revolution" der amerikanischen Künstlerin Lisa Kirk, das 2010 in einer Parfümerie auf der Berliner Friedrichstraße für 55 Euro verkauft wurde, stank in Kopf-, Herz- und Basisnote angeblich nach Tränengas, Blut, Urin, Rauch, verbranntem Gummi und Schweiß. Der Grund, warum trotz des enormen Reaktionspotenzials von Geruchsmolekülen Künstlerinnen und Künstler so selten mit diesem Sinn arbeiten, liegt vermutlich an ein paar grundsätzlichen intellektuellen Nachteilen - die sich bei dem großen Themenprojekt "Smell it!" in Bremen erklären.

Acht Ausstellungshäuser von der Kunsthalle bis zum Kindermuseum haben sich hier koordiniert, um das Olfaktorische in der Kunst in allen Facetten ruchbar zu machen. Und natürlich wird dazu einleitend Marcel Prousts berühmte Episode zitiert, wie er durch den Geruch eines Madeleines, eingetunkt in Tee, eine Erinnerungsexplosion erlebte, aus der sieben Bände Weltliteratur entstanden. Doch genau dieser synästhetische Mechanismus, mit Gerüchen Bilder und Atmosphären zu erwecken, macht Duftkunstwerke so ungreifbar. Der emotionale Reflex auf Gerüche ist extrem subjektiv und wenig steuerbar. Und darum sind Riechwerke - anders als ein Bild, eine Skulptur oder eine Installation - kaum als eigenständiges Werk erkennbar.

Wenn etwa im Museum in der Weserburg Luca Vitone einen großen Raum mit seiner Duftmischung "Macht" besprüht, die "Behördenflure, staubige Aktenordner und monumentale Architektur" sowie Hochfinanz, Obrigkeit und Herrschaftswissen assoziieren soll, dann bleibt das ein frommer Wunsch des Künstlers, dessen Erfüllung sich auch mit der Erklärung nicht einstellt. In dem Raum riecht es einfach diffus. Oder wenn der amerikanische "Riechkünstler" Brian Goeltzenleuchter in die Flüssigkeit für die Handhygiene in sieben Bremer Museen Essenzen mischt, die Erinnerungen von Emigranten an ihre Heimat wachrufen sollen, dann funktioniert das vermutlich selbst bei den Exilierten nicht, wenn die Alkohollösung einfach nach Zitrone riecht.

Die Kulturgeschichte des Geruchs riecht selbst so aseptisch wie täglich gebohnerte Flure

Geistige Anregung, die über die Reizung von Fantasien oder Ekel hinausgeht, lässt sich mit diesen Molekülen also kaum erzeugen. Erst im Zusammenhang mit optischen oder akustischen Reizen werden Gerüche zu einem bewusst wahrnehmbaren Teil von Kunstwerken. Und aus diesem Dilemma heraus teilen sich die Kunstwerke dieser Kooperationsschauen auch klar in zwei Fraktionen: Kunstgerüche, die als Ergänzung von Installationen wirken, oder Kunstwerke, die vom Riechen handeln, ohne zu riechen.

Speziell diesem Komplex ist die große Ausstellung in der Kunsthalle gewidmet, die unter dem Titel "Mit den Augen riechen" hauptsächlich Gemälde und Stiche versammelt, auf denen geruchsintensive Situationen dargestellt sind. Von Lovis Corinth, der von sich behauptete, im Schlachthof malen gelernt zu haben, was in einer Darstellung des Zerteilens von Rindern belegt wird, über Karikaturen Honoré Daumiers, George Grosz' und anderer zum Statuswert von Gerüchen in der Gesellschaft, zu wohlweislich luftdicht in Plexiglas verkapselten Verwesungslandschaften Dieter Roths zeigt diese Schau eine vielfältige Kulturgeschichte der chemischen Wahrnehmung - die selbst aber leider so aseptisch riecht wie täglich gebohnerte Flure, was irgendwie doch enttäuschend wirkt.

Auch in der Überblicksschau zum Olfaktorischen in der zeitgenössischen Kunst, die das Zentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg kuratiert hat, braucht es keine Nasenklammer. Piero Manzonis "Künstlerscheiße" von 1961 ist in eine Dose eingezinkt, Joseph Beuys' "Geruchsplastik" von 1978 besteht aus "Informationsmaterial" eingelegt im Einweckglas, und das "Kakabet" der österreichischen Fäkalkünstlergruppe Gelitin zeigt die hingeschissenen Texte aus Würsten nur als Fotoarbeit. Auch die Kunst-Parfüms von Rosemarie Trockel und Geza Schön oder die Seifen "Waschzwang sensitiv" von Cloud Ömschen, "Unschuld" von Ottmar Hörl oder "Black Stone" von Otobong Nkanga wehren sich mit Vitrinenglas dagegen, die Nasenrezeptoren herauszufordern.

Der Duft der Saatkornmischung hält sich noch Stunden später in der FFP2-Maske

Doch ganz ohne sinnlichen Hauch will diese Versammlung von zehn Ausstellungen dann doch nicht dastehen. Im Paula-Modersohn-Becker-Museum werden ihre Blumenbilder ergänzt um eine betretbare Saatkornmischung aus Koriander, Wiesen-Kümmel, Fenchel, Petersilie, Schabziger Klee und Wilder Möhre von Camilla Nicklaus-Maurer, die sich noch Stunden später in der FFP2-Maske hält, die man auch bei diesen Riechkunstausstellungen tragen muss. Und in der Städtischen Galerie stößt man endlich auf jene Sorten von Arbeiten, die man bei diesem programmatischen Ansatz in weit größerer Zahl erwartet hätte: molekulare Ästhetik, die sich über die Luft verteilt.

Die überwiegend von Bremer Künstlerinnen und Künstlern bespielte und sehr abwechslungsreiche Schau begrüßt die Eintretenden gleich mit dem liebsten Skandalgeruch dieser Kunstsparte, einem Gemisch aus Buttersäure und Malz, das die Verdauungsgase imitiert. Aus lecken Abwasserrohren von Laura Pientka blubbern dazu sehr laut Stoffwechselgeräusche zwischen Darm und Rektum. Und unter der Treppe versteckt sich als weitere interessante Zumutung ein karges Kinderzimmer von Peter de Cupere aus schwarzen Zigarettenkippen, das vielleicht noch aggressiver Miasma verteilt als die technische Nachbildung eines löchrigen Darms. Aber in den weiteren Sälen wird auch Schokolade auf einem kleinen Schrottplatz geschmolzen, Duftschule mit Essenzen angeboten, sichtbares Parfüm präsentiert oder performativ vegan gekocht, wobei die Geräusche, wie das Rohe zum Gekochten wird, eine Klanginstallation ergeben.

Auch wenn in den zehn Ausstellungen von "Smell it!" einige jener wichtigen Positionen der zeitgenössischen Geruchskunst fehlen, die wirklich primär mit Gerüchen arbeiten, etwa die norwegische Duftforscherin Sissel Tolaas, oder der Erbauer der überwältigenden Geruchsorgel Wolfgang Georgsdorf, so zeigt "Smell it!" doch sehr klar die Stärken und Schwächen der "unsichtbaren Skulpturen". Wirklich Bedeutung nimmt der Atem der Dinge nur an, wenn er einen sichtbaren Kontext erhält. Ansonsten beschränkt sich der emanzipatorische Gehalt des Geruchs außerhalb des Museums darauf, neu sensibilisiert zu sein für die Ausdünstungen des Stadtlebens. Und darauf möchte man nach einiger Zeit auch gerne wieder verzichten.

Gesamtprogramm: www.museeninbremen.de/smellit/

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