Ausstellung:Betonträume

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Mit einer Drohne geht es zu Drum'n'Bass-Beats durch die Gropiusstadt. (Foto: Sarah Lehner)

Sarah Lehnerer hat den Förderpreis für junge Kunst des Kunstclub13 bekommen. Ihre Arbeit "Images, I see symptoms no reflexions" ist in der Platform zu sehen

Von Jürgen Moises

Als einen Ort, in dem es "überall nur Pisse und Kacke" gibt, hat Christiane F. die Gropiusstadt in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" beschrieben. Dabei sollten in dem 1962 von Walter Gropius geplanten Ortsteil in Berlin doch vor allem Grün, Licht, Luft und Sonne herrschen. Etwas, das der Bau der Berliner Mauer so aber nicht zuließ. Aus Mangel an Fläche bekamen die Gebäude bis zu 30 statt nur fünf Etagen, aus einem idealistischen Sozialwohnbauprojekt wurde ein sozialer Brennpunkt. Diesen Ruf wurde Gropiusstadt erst in den letzten Jahren wieder los, der einer öden Trabantenstadt ist ihr bis heute geblieben.

Als solche tritt Gropiusstadt auch in Sarah Lehnerers Video "How many suns do you see?" in Erscheinung, das in der Ausstellung "Images, I see symptoms no reflexions" in der Platform zu sehen ist. Darin fliegt eine Drohnenfilmkamera einzelne Wohnhochhäuser ab. Und das alles im Rhythmus eines Drum'n'Bass-lastigen Songs, dessen Beats Felix Leon Westner komponiert hat. Realisiert wurde die Arbeit mithilfe des Förderpreises für junge Kunst, den der Kunstclub13 im Mai dieses Jahres an Lehnerer verliehen hat.

Zu dem Preis, der in den vorherigen Jahren an Franz Wanner, Anna McCarthy, Frank Balve und Emilia Scharfe ging, gehört immer eine Ausstellung, sowie eine Publikation. Darin kann man den Text des Video-Songs nachlesen, den Lehnerer aus Fragmenten von Lydia Davis, Joan Didion, Bret Easton Ellis und Catherine Malabo collagiert hat. "Notruf, Notruf" schreit im Fragment von Davis eine Frau. Didion zählt Auslöser für Multiple-Sklerose-Schübe auf. Bret Easton Ellis erzählt von Erinnerungen an eine Stadt und an Gewalt: Großstadtleben als "Alarm-Zustand", wie man es ähnlich in Texten der gerade sehr angesagten Hip-Hop-Poetin Kate Tempest findet.

Die Nähe zu Literatur und Popmusik hat Lehnerer auch mit Juno Meinecke gemeinsam, die den Text von "How many suns do you see?" eingesungen hat. Meinecke ist Schauspielerin, Filmstudentin und Tochter des Musikers, DJs und Popliteraten Thomas Meinecke. Dass Lehnerer nach ihrem Kunstdiplom bei Stephan Huber zusätzlich ein Masterstudium in "Critical Studies" beim Pop- und Kunsttheoretiker Diedrich Diederichsen absolviert hat, passt da ebenfalls ins Bild.

Tatsächlich hat Lehnerer schon mehrfach mit der Form des Musikvideos gearbeitet, die hier den Effekt hat, dass einen Beats und Bässe sogartig in die betongraue Vorstadtwelt hineinziehen. Dass es sich dabei um Gropiusstadt handelt, ist vielleicht gar nicht so relevant. Ähnliches gilt für die Gipsbilder der Serie "Silver Equipment", die das Video ergänzen und in einer sehr reduzierten zeichnerischen Sprache Dinge wie eine Nagelfeile oder einen Kopfkrauler zeigen. Man mag darin, wie Konstantin Lannert im Ausstellungstext, Symptome einer krankhaften Optimierungsgesellschaft sehen. In ihrer grafischen Offenheit lassen die Bilder aber auch ganz andere Reflexionen zu, und das macht nicht zuletzt auch deren Qualität aus.

Sarah Lehnerer: Images, I see symptoms no reflexions, bis 15. Januar, Platform, Kistlerhofstr. 70

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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