Ausstellung:Avada kedavra

Lesezeit: 4 min

Vor zwanzig Jahren gründete J.K. Rowling ihr Zauberreich - ab diesem Freitag zeigt die British Library in London ihre große Ausstellung "Harry Potter: A History of Magic".

Von Alexander Menden

Im ersten Raum der populärsten Ausstellung, die in der British Library je zu sehen sein wird, steht auf einem Notizzettel in Kinderschrift: "Wegen der Spannung in diesem Buch habe ich mich innen ganz warm angefühlt. Ich glaube, das ist vielleicht eins der besten Bücher, die jemand lesen könnte, der 8 oder 9 Jahre alt ist." Die Rezension stammt von Alice, der damals achtjährigen Tochter des Bloomsbury-Verlagschefs Nigel Newton. Acht Verlage hatten das Manuskript von Joanne Kathleen Rowlings "Harry Potter und der Stein der Weisen" bereits abgelehnt, als es auf Newtons Schreibtisch landete. Am Tag nach Alice Newtons Urteil nahm ihr Vater Rowlings Buch an und setzte damit das gigantischste literarische Phänomen unserer Zeit in Gang.

Die Räume sind mit Fototapeten und Spitzbögen um die Vitrinen wie eine alte Bibliothek gestaltet

Es ist seitdem oft erzählt worden, wie aus einer mittellosen, alleinerziehenden Mutter die mit bisher 400 Millionen verkauften Büchern erfolgreichste lebende Autorin der Welt und aus ihrer Schöpfung Harry Potter eine Milliarden generierende Entertainment-Maschine wurde. Der kleine graue Zettel zu Beginn von "Harry Potter: A History of Magic", der Herbstschau der britischen Nationalbibliothek, erinnert aber daran, dass die Keimzelle des Ganzen ein grundsolide gebautes Kinderbuch war. J. K. Rowling nahm Kinder wie Alice scheinbar mühelos in eine Welt mit, die starke Identifikationsfiguren und eine krimiartige Geschichte bot, die aber auch deshalb so reichhaltig wirkte, weil die Autorin eine Vielzahl historischer und fiktiver Figuren, Sprachspielereien und okkulter Symbole in diese Welt eingearbeitet hatte.

Anlässlich des zwanzigsten Jahrestages der Erstveröffentlichung des ersten Potter-Romans hat die British Library ihre Ausstellungsräume in eine Nebengalaxie des Potterversums verwandelt. Die Kuratoren wollen die Wurzeln magischer Traditionen, die mythologischen und narrativen Quellen der Rowling-Geschichten zugänglich machen. Die Räume sind mit Fototapeten und spitzbogigen Vitrinenumrahmungen wie eine alte Bibliothek gestaltet.

Wer die Originale der Bücher sehen will, deren Rücken hier zweidimensional die Wände bedecken, kann sie direkt vor dem Eingang der Ausstellungsräume besichtigen. Es ist die Bibliothek König George III., die den Kernbestand der British Library bildet und in der Eingangshalle in einem mehrere Stockwerke hohen Glaskasten steht. Die direkte Nachbarschaft mit den echten Büchern hat einen ähnlichen Effekt, wie sie eine mit Plastiksarkophagen angereicherte Ausstellung über die alten Ägypter im British Museum hätte. Doch die quasi-antike Anmutung ist nun einmal Teil des Harry Potter-Designs und trägt ebenso zur Atmosphäre bei wie die zahlreichen Originale, die Potter-Illustrator Jim Kay zur Verfügung gestellt hat: Porträts von Hauptfiguren wie Severus Snape und Minerva McGonagall, eine meterlange, minutiös ausgeführte Straßenansicht der Winkelgasse, eine wunderbare, offenkundig durch die gusseiserne Architektur in Kew Gardens inspirierte Zeichnung der Hogwarts-Gewächshäuser.

Gegliedert nach den Unterrichtsfächern im Zauberinternat Hogwarts, wie Kräuterkunde, Geschichte der Zauberei oder Verteidigung gegen die dunklen Künste, trifft die Schau die richtige Balance zwischen Gelehrsamkeit und Spektakel meist genau. Die interaktiven Exponate reichen von einer virtuellen Tarot-Weissagung bis zu einem Goldenen Schnatz-Bällchen, das als Projektion durch den Raum huscht. Besonders hübsch sind zwei digital brodelnde Kessel in der Abteilung "Zaubertränke", in die man diverse Zutaten wie Stachys Officinalis und Lupinus Albus hineinrühren kann. Hält man nicht die richtige Reihenfolge ein, gibt es eine (virtuelle) Explosion. Gleich daneben findet man "Culpeper's English Pysician and Complete Herbal", ein Kompendium medizinischer Kräuter, dem Rowling die Namen ihrer Zaubergewächse und -tränke entnahm. Was wirklich im "Battersea Cauldron", einem im 19. Jahrhundert aus der Themse gefischten bronzezeitlichen Kessel gekocht wurde, weiß niemand, aber er sieht allemal aus wie der Prototyp aller Hexenkessel.

Jeder einzelne Tag im Band "Der Orden des Phönix" war generalstabsmäßig geplant

"A History of Magic" ist nicht zuletzt auf die Bedürfnisse der Schulklassen abgestimmt. Sie werden bemerkenswerte Schätze der Bibliothek kennenlernen, astronomische Zeichnungen aus einem Notizbuch Leonardo da Vincis, ein um 1300 in Bagdad entstandenes Buch über männliche und weibliche Alraunenwurzeln, das Sternenbild "Canis Major" aus einer mittelalterlichen Handschrift. Das am hellsten leuchtende Gestirn dieser Konstellation ist der Hundsstern Sirius, nach dem Harrys Patenonkel Sirius Black benannt ist, der sich in einen Hund verwandeln kann.

Faszinierend ist bei vielen Exponaten der lange selbstverständliche, fließende Übergang zwischen Aberglaube und Wissenschaft. Quintus Serenus' "Liber Medicinalis", ein lateinisches Lehrgedicht, wurde in der abendländischen Medizin Jahrhundertelang als wichtiges Referenzwerk genutzt. Neben einer Liste von Heilkräutern enthält es auch die erste nachgewiesene Nutzung der Zauberformel "Abracadabra", die gegen Fieber und Malaria helfen sollte. Rowling machte daraus den verbotenen Tötungszauber "Avada kedavra".

Auch fiktive und historische Figuren sind nicht immer klar trennbar. Ein Gedenkstein aus dem Pariser Musée de Cluny erinnert an den der Zauberei verdächtigen Alchemisten Nicolas Flamel. Angeblich starb er 1418, doch als sein Grab Jahrhunderte später geöffnet wurde, war es leer. Potter-Leser wissen, dass Flamel, Freund des Hogwarts-Schulleiters Professor Albus Dumbledore, den Stein der Weisen schuf und tatsächlich bis 1992 lebte.

J. K. Rowling hat allerlei Parerga und Paralipomena aus ihrem Archiv zur Verfügung gestellt hat. Im Entwurf einer Szene, in der Harry und sein Freund Ron mit ihrem fliegenden Auto abstürzen, landen sie nicht in der Peitschenden Weide, sondern in einem von Meerjungfrauen wimmelnden See. "Die sind nicht so hübsch, wie sie immer in Büchern aussehen", bemerkt Ron. Und richtig, die japanische, aus einem Affen und einem Fisch zusammengenähte "Meerjungfrau" aus dem British Museum ist von grotesker Hässlichkeit. Die generalstabsmäßige Planung jedes einzelnen Tages in "Der Orden des Phönix" wird auf sieben eng beschriebener Din-A4-Blättern nachvollziehbar.

Rowlings Originale haben keinen eigenen Raum. Sie finden sich, versehen mit einem roten Echtheitsstempel, neben den übrigen Exponaten. So ist ihr selbstgezeichneter Entwurf des Hogwarts-Hausmeisters Argus Filch in derselben Vitrine ausgestellt wie "The Book of King Solomon", ein gebundenes Manuskript aus dem 17. Jahrhundert, das einen Unsichtbarkeitszauber beschreibt. Man mag einwenden, diese implizite Gleichstellung tue Rowlings ungelenke Tintenzeichnung vielleicht doch etwas zu viel der Ehre an. Die Fans unter den Besuchern, die zweifellos in der überwältigenden Mehrheit sein werden, dürften sie aber für berechtigt, ja selbstverständlich halten. Für Harry Potter, das zeigt sich nun auch in der British Library, gelten eben ganz eigene, gleichsam magische Maßstäbe.

Harry Potter: A History of Magic. British Library, London, bis 28. Februar 2018. info: www.bl.uk, Katalog 20 Pfund.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: