Auktionshäuser:Die Emotionen fehlen

Lesezeit: 3 min

Seit 1998 im Auktionshaus: Dirk Boll, Chef von Christies’s für Europa, Nahost und Afrika. (Foto: Christie's)

Ein Gespräch mit Dirk Boll von Christie's über Online-Auktionen und was der Szene fehlt, wenn öffentliche Auktionen ausfallen.

Interview von Jörg Häntzschel

Die Corona-Krise trifft nicht nur Galerien und Kunstmessen, sondern auch die Auktionshäuser. Viele deutsche Firmen haben ihre Auktionen ganz eingestellt und alle Termine verschoben, meist bis Ende Mai. Einige Häuser verlegen ihre Auktionen aber ins Netz, so das Wiener Dorotheum und Ketterer. Sotheby's will noch einige Auktionen in London durchführen, doch die meisten anderen Filialen sind geschlossen. Christie's hat am Mittwoch und Donnerstag in London seine vorläufig letzten Auktionen veranstaltet - in nahezu leeren Sälen. Wir sprachen mit Dirk Boll, dem Chef von Christie's für Europa, Nahost und Afrika, über Alternativen zur klassischen Live-Auktion.

Per Telefon bei Auktionen mitzubieten, das gibt es seit langem. Wie genau funktionieren Online-Auktionen?

Man muss unterscheiden zwischen Live-Auktionen, die man per Stream verfolgt, und Online-Only-Auktionen.

Reden wir über letztere.

Das ist genau wie Ebay. Es gibt eine Frist von ein paar Tagen, und wenn sie abgelaufen ist, bekommt der Höchstbietende das Objekt. Es gibt keinen Auktionator, und man kann das Objekt nicht besichtigen. Bei diesen Auktionen gibt es eine klare Wertschwelle nach oben. Das funktioniert bislang nur im mittleren und unteren Preisniveau. Sehr kostbare Werke kann man so nicht verkaufen.

Könnte das Ihr Geschäft jetzt nicht trotzdem retten?

Wenn Sie eine Auktion, die Sie als Live-Auktion konzipiert haben, ins Internet schieben, bewegen Sie sich in ein ganz anderes Rechtsgebiet. Das ist streng genommen keine Auktion mehr. Nach der deutschen Versteigerungsverordnung und den Pendants in anderen Ländern braucht eine Auktion einen Auktionator. Reine Internetauktionen fallen unter das Fernabsatzgesetz. Das bedeutet, wir müssten mit jedem Einlieferer einen neuen Vertrag machen. Das ist bei großen Auktionen nicht wirklich machbar.

Auktionen im Saal entfesseln Bieterkämpfe, es gibt Applaus, überstürzte Entscheidungen. Online fällt das alles weg.

In der Saalauktion haben Sie eine starke zeitliche Komponente. Sie bieten, dann bietet jemand höher, und dann schaut der Auktionator Sie an, und Sie müssen entscheiden, ob Sie noch mal höher bieten. Online ist das alles gestreckt. Die emotionale Seite ist viel geringer, leider.

Die andere Variante sind Live-Auktionen, die man am Bildschirm verfolgt. Wie sieht das aus?

Wir dürfen die Besucher nicht zeigen. Sie sehen also nur den Auktionator und ein paar Christie's-Mitarbeiter. Und in einem Extrafenster sehen Sie das Objekt. Was Sie aber mitbekommen, ist die Atmosphäre im Saal, und wie der Auktionator seine Gebote reinholt. Und sie sehen, ob die Gebote von Saalbietern kommen, von Telefonbietern oder von Internetbietern. Das ist viel mehr als bei einer Online-Auktion.

Könnte man die nächsten Live-Auktionen nicht einfach vor leerem Saal durchführen und in die Welt streamen?

Das hatten wir diese Woche in London praktisch schon. Wir hatten heute fünf Besucher im Raum, gestern waren es drei. Aber am Telefon und online waren über 500 Leute dabei. Das Auktionshauses Auctionata in Berlin hatte dieses Prinzip zum Geschäftsmodell gemacht. Die hatten ein Filmstudio in Potsdam und haben ihre Auktionen abgefilmt und online gezeigt. Wer wollte, konnte die Auktion im Studio besuchen. Damit war die juristische Anforderung, dass die Auktion öffentlich zugänglich sein muss, erfüllt. Wir könnten das jetzt auch machen, aber wir finden, es ist nicht der richtige Moment.

Die großen Auktionen in New York und London sind große Gesellschaftsevents. Waren sie nicht schon vor der Corona-Krise ein bisschen anachronistisch?

Von außen mag das so aussehen. Die Gesellschaft trifft sich, dann geht man in ein elegantes Restaurant. Aber eine Auktion ist auch eine Meeting-Plattform, wo sich die Industrie trifft, die Szene, wo man Informationen austauscht und erfährt, wo der Markt steht. Im Auktionssaal hat man eine ganz andere Wahrnehmung von der Tiefe der Nachfrage. Es kann sein, dass ein finanzkräftiger Bieter einsam gegen eine hohe Reserve geboten hat, oder dass 20 Bieter mitgeboten haben. Im Auktionssaal sehen Sie das. Und Sie sehen, welche Galeristen oder Händler bieten. Auktionen erfüllen eine wichtige Funktion für die Marktteilnehmer, ganz gleich ob es professionelle oder private Sammler sind. Als Treffpunkt und als aktuelle Wasserstandsinformation.

© SZ vom 21.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: