Astrologie und Geschichte:Böser Begleiter

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Der Himmel spielt verrückt. Andreas Bähr untersucht die Bedeuutng der Himmelszeichen für Politik und Kriegsführung im Dreißigjährigen Krieg, für Tilly und Wallenstein. Ominöse Kometen tauchen in vielen Berichten auf, auch beim Gelehrten Athansius Kircher.

Von Harald Eggebrecht

Den 3. November 1618 ist ein schrecklicher Compet am Himmel erschienen, der etzliche Monath und gar bis in das folgende Jahr gesehen war." Das schrieb der gräfliche Hofrat im Schwarzburg-Sonderhäusischen, Volkmar Happe, in seine thüringische Chronik. Schrecklich war die Himmelserscheinung für ihn, "denn darauf in aller Welt Krieg, Aufruhr, Blutvergießen, Pestilentz und theure Zeit und unaussprechlich Unglück erfolget". Happe brachte diesen Kometen sofort mit dem "Böhmischen Krieg " in Verbindung, der 1618 "angangen" war. Dass daraus eine dreißig Jahre währende unvorstellbare europaweite Verheerung wurde, ahnte dennoch kaum jemand. Dass allerdings, so wie wir es alle gelernt haben, der Fenstersturz in Prag den definitiven Beginn jenes epochalen Krieges markiert, ist das Konstrukt nachmaliger Historiker.

Für Happe und andere wie etwa den großen Astronomen Johannes Kepler spielte hingegen der "Winterkomet" als himmlisches Ereignis eine entscheidende Rolle. Diesem Kometen als außer- oder überirdischem Zeichen und seinen damals vielfältigen Deutungen hat der Berliner Historiker Andreas Bähr, Jahrgang 1968, ein so erfreulich knapp wie pointiert geschriebenes Buch gewidmet, in dem er zeitgenössische Zeugnisse auswertet nach Aspekten wie "Kriegsberichte", "Lebensentscheidungen", "Visionen" oder "Frieden". Neben Happe sind ein Zisterziensermönch aus der Abtei Salem, ein weit gereister Zinngießer aus dem Elsass, ein Schuster aus einem Dorf bei Ulm und der Universalgelehrte Athanasius Kircher mit ihren Chroniken und Autobiografien Bährs Hauptzeugen.

Wie erzählt man Geschichte? Nach dem Prinzip der Chronologie der politischen Ereignisse, als Darstellung wirtschaftlicher, sozialer und auch mentaler Prozesse? Man kann auch an ein Einzelereignis, wie es etwa die Ermordung John F. Kennedys oder der "deutsche" 9. November waren, alle möglichen Fragen stellen, und so Geschehenes schildern und erklären und die davon ausgehenden Folgen bedenken.

Bähr hingegen lässt sich gewissermaßen auf individuelle Tiefenbohrungen ein, wie es ähnlich auch Philipp Blom in seinem glänzenden, die sogenannte Kleine Eiszeit im 17. Jahrhundert untersuchenden Buch "Die Welt aus den Angeln" getan hat. Also kann man historischen Abläufen quasi persönlich begegnen in Berichten, Tagebüchern, Briefen von Einzelnen, die, wie wir selbst, den Irrungen und Wirrungen ihres jeweiligen historischen Alltags mehr oder weniger ausgeliefert waren. An solchen Dokumenten wird rasch klar, wie der Einzelne versucht, sich seinen Reim auf die Geschehnisse zu machen, wie er gewissermaßen seine eigene Geschichtlichkeit verstehen will, um nicht den Kopf zu verlieren, in der mehrfachen Bedeutung des Ausdrucks.

Bähr will aber mit seinem Gang durch die von ihm herangezogenen historischen Berichte und Dokumente keine "Authentizitätssteigerung und mikroskopische Annäherung an einen weit entfernten Krieg". Ihm geht es vielmehr bei seiner "Analyse historischer Deutungen" um die "Logiken und Mechanismen des Erkennens im 17. Jahrhundert". Am Ende lässt sich durchaus von einem höchst anregenden und darin gelungenen Versuch einer Innenansicht jener monströsen dreißig Jahre sprechen.

Himmelszeichen begleiteten auch die Eroberung und den Brand von Magdeburg 1631

Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges jährt sich 2018 zum vierhundertsten Mal. Während etwa Herfried Münkler die Gesamtschau des Krieges im Blick hat, Daniel Kehlmann in seinem viel diskutierten "Tyll" sich der Epoche romanhaft nähert, wendet Bähr bei seiner Zeitzeugenbefragung den Blick von der Erde zum Himmel: "Am Anfang des dreißigjährigen Krieges stand nicht nur ein Komet, sondern auch eine scharfe Kontroverse über seine Bedeutung. Astronomen stritten mit Theologen und orthodoxe Lutheraner mit ,Schwärmern' und ,falschen Propheten'."

Für Mathematiker und Sterngucker wie Kepler oder den Ingolstädter Jesuiten Johann Baptist Cysat war der Komet zunächst einmal ein eminentes Naturereignis. Cysat hielt sich mit Zukunftsdeutungen zurück, auch wenn er dem Kometen seine Aura als mögliches göttliches Vorzeichen, und wohl kein gutes, zugestand. Da Kepler Astronomie und Astrologie noch als Einheit sah, hielt er das Kometenzeichen für letztlich entschlüsselbar, allerdings nicht im Sinne von präzisen Voraussagen. So hat er sich geweigert, seinem Auftraggeber Wallenstein ein Horoskop zu stellen, in dem es genaue astrologische Nachricht über Kriegsglück und Tod geben könnte.

Himmelszeichen begleiteten auch einen der grauenvollsten Momente des Krieges: Eroberung und Brand von Magdeburg 1631. Sowohl die siegreichen katholischen Kaiserlichen unter Tilly und Pappenheim als auch die Protestanten in der Stadt sahen sie: Die Eroberer verwiesen zu ihrer Rechtfertigung der Stadtschändung auf die "Bluettige und fewrige Wolcken", die den Sieg ankündigten. Die Städter wiederum erkannten sie als böses Omen der Niederlage und drohendes Signal göttlicher Strafe. Bald darauf landete Schwedenkönig Gustav Adolf auf Usedom und zog nun siegreich für die Protestanten nach Süddeutschland. Das Magdeburger Fanal wurde so doch zu einem Wendepunkt des Krieges.

Den Anmarsch der Schweden sah eine der faszinierendsten Gestalten des 17. Jahrhunderts, der Jesuit und Polyhistor Athanasius Kircher, in Würzburg in einer nächtlichen Vision voraus. Er erwachte durch ein "obskures Licht", ging ans Fenster und sah, dass "der ganze geräumige Hof des Kollegiums mit in militärischer Ordnung aufgestellten Bewaffneten und Pferden angefüllt" war. Niemand glaubte Kircher, er wurde verlacht. Ein halbes Jahr später nahmen die Schweden Würzburg ein. Kircher floh über Frankreich bis nach Rom, wo er 1680 gestorben ist.

Bähr bietet als Epilog noch einen Ausblick auf das Nachleben des Kometenzeichens bis in den Ersten Weltkrieg hinein, wo Franz Marc einen Schweifstern auf eine Postkarte aus dem Felde zeichnet und die Verbindung zwischen Komet und Krieg betont. Das Buch wirkt wie ein detektivischer Pfadfinder durch jene furchtbare Kriegsepoche vor allem auf den Etagen all jener bedrohlichen Haarsterne (so die eigentliche Bedeutung des griechischen Wortes "Kometes"), gefährlichen Nordlichter, unheimlichen Wolkentürmen und seltsamen Farberscheinungen, die seine verschiedenen Chronisten einst tief erschreckten, in Aufregung und Flucht trieben, manchmal sogar kurz beruhigten.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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