Arno Schmidts ehemaliges Wohnhaus sieht so aus, als sei der Schriftsteller gerade vom Schreibtisch aufgestanden. Neben der Schreibmaschine liegen Hornbrillen und Bleistiftstummel, im Flur hängt seine grüne Lederjacke.
Seit Schmidts Tod 1979 hat sich in dem Holzhäuschen in Bargfeld in der Lüneburger Heide kaum etwas verändert. Rund 500 Besucher pilgern jährlich auf den Spuren des mythenumrankten Autors in das idyllische Dorf bei Celle, wo die Arno Schmidt Stiftung seinen Nachlass pflegt.
In diesem Jahr dürften es noch mehr werden, denn am 18. Januar wäre der Schöpfer des Mammut-Romans "Zettel's Traum" 100 Jahre alt geworden.
Schmidt gilt als Klassiker der Moderne und einer der wichtigsten deutschen Nachkriegsautoren, wenn er auch nicht so populär wie Günter Grass oder Heinrich Böll ist.
Der Sprach-Pionier setzte sich über Erzählkonventionen und Orthografieregeln hinweg, er mixte den Schnack von der Straße mit Lyrischem. Dass man ihn 1955 wegen seiner Erzählung "Seelandschaft mit Pocahontas" der Pornografie und Gotteslästerung bezichtigte, verstörte ihn tief.
Schreiben inmitten der Natur
Der Hamburger Millionär und Literaturprofessor Jan Philipp Reemtsma sagt in einem Arte-Film über Schmidt: "Ich habe einen so beeindruckenden Menschen nie wieder in meinem Leben erlebt."
Reemtsma ist Vorsitzender der Arno Schmidt Stiftung, 1977 stellte er dem aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden Autor 350.000 Mark zur Verfügung - ein Betrag, der sich an der Dotierung des Nobelpreises orientierte.
Mit seiner Ehefrau Alice ließ sich der in Hamburg geborene Literat Ende 1958 in Bargfeld nieder. Diese Isolation hatte er sich erträumt, um in der "ihm gemäßen Landschaft" inmitten der Natur zu schreiben.
Wie der Krieg die Seelen der Menschen beschädigt sowie die Angst vor einem drohenden Atomkrieg waren Themen in seinen teils utopischen Romanen, die Atom-Mutanten und Spinnen mit Menschenköpfen bevölkern.
Das Arbeitszimmer in Bargfeld ist mit alten Büchern vollgestopft. Hier steht auch die Ausgabe von Jules Vernes "Reise um die Erde in 80 Tagen", die der exzessive Leser als Sechsjähriger verschlang.
"Sein Witz altert nicht"
Der akribische Arbeiter legte an die 120.000 Notizzettel in Kästen an. Spätestens um vier Uhr früh saß er am Schreibtisch. Ihn inspirierte der Blick auf die karge, weite Landschaft, wo noch heute Heidschnucken grasen und kein Auto vorbeifährt. Irgendwo in der Ferne brummt der Motor einer Landmaschine.
Arno Schmidt hat von jeher den Ruf eines unverständlichen Autors. Völlig zu Unrecht, meint die Geschäftsführerin der Stiftung, Susanne Fischer. "Er ist ein sehr guter Beobachter, sein Witz altert nicht. Außerdem hat er tolle Liebesgeschichten geschrieben", sagt die Mitherausgeberin der umfangreichen Werkausgabe im Suhrkamp Verlag.
Der Schriftsteller, der den Tag mit Schnaps und Kaffee startete, erlitt 1972 einen Herzinfarkt, sieben Jahre später starb er an den Folgen eines Hirnschlags. Unter einem Findling auf dem Grundstück des Bargfelder Häuschens ist der Hausherr begraben, seine Witwe lebte hier noch bis zu ihrem Tod 1983.
Manchmal erinnern Feldblumen an den eigensinnigen Künstler. Wie hätte er wohl selbst kommentiert, dass sein Alltag seit seinem Tod wie in einem Museum konserviert wird? Öffentliche Lesungen gab er nicht, eine Einladung zum Schriftsteller-Treffen der Gruppe 47 schlug er mit dem Hinweis aus, er eigne sich schlecht als "literarisches Mannequin". In dem 1958 ausgestrahlten Rundfunkessay "Die Meisterdiebe" sagte Schmidt: "Das Werk also funkelt: den schäbigen Rest, den Autor selbst nämlich, besieht man sich besser nicht!"