Argentinische Literatur:Gegen die Angst vor zu langen Ferien

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Samanta Schweblin: Sieben leere Häuser. Aus dem Spanischen von Marianne Gareis. Suhrkamp, Berlin 2018. 150 Seiten, 20 Euro. (Foto: Verlag)

Von Marie Schmidt

Urlaub hat ja etwas Unheimliches. All die Dinge, Gewohnheiten und Gespräche sind plötzlich suspendiert, die im Alltag verlässlich wiederkehren, die sonst immer funktionieren und unsere wichtigen, systemrelevanten Tätigkeiten strukturieren. Auf einmal sollen wir ganz wir selbst sein, ganz Mensch. Und dabei ist es auch noch unerträglich heiß. Das Bewusstsein schmilzt zusammen und mit einem schwelenden Panikgefühl geht die Frage einher: Wer bitte soll das sein, "ich selbst", so ganz ohne den alltäglichen Kram?

Dieses spezielle Unsicherheitsgefühl, ein existenzieller Horror Vacui, findet seine ideale Entsprechung in den Geschichten von Samanta Schweblin, einer in Buenos Aires geborenen Schriftstellerin, die in Berlin lebt. Ihr neues Buch "Sieben leere Häuser" besteht aus sieben kurzen Geschichten, in denen alle Gewissheiten löchrig werden. Die Verständigung zwischen Menschen, sogar solchen, die sich nahestehen, und all die mühsam aufrechterhaltene Vernunft des normalen Umgangs miteinander schmiert ins Irrsinnige ab.

Da fährt zum Beispiel ein Mädchen mit seiner Mutter durch ein hübsches Wohnviertel, um "Häuser anzusehen". Dabei bleibt es aber nicht, weil sich die Mutter brutal aufdringlich Zugang verschafft zu den Wohnungen und dem Leben völlig Fremder. Die Ich-Erzählerin findet sie dann in schrecklich peinlichen Situationen wieder: "Sie liegt bäuchlings auf dem Teppich, mitten im Elternschlafzimmer. Ihre Arme und Beine sind ausgestreckt, und ich frage mich kurz, ob es wohl noch andere Möglichkeiten gibt, so unverhältnismäßig große Dinge, wie ein Haus zu umarmen, sollte es das sein, was meine Mutter gerade versucht." Es wirkt, als versuche die Frau inmitten der Besitztümer der anderen eine geheimnisvolle Ungerechtigkeit gutzumachen. Worin die besteht, erfährt der Leser nicht, sondern bekommt mit, wie geschickt sich die Erzählerin auf den Wahnwitz der Mutter einstellt. Wie eben Kinder mit allem zurechtkommen müssen, was ihre Eltern tun.

Darin besteht, wenn man diesen Widerspruch in Kauf zu nehmen bereit ist, die zugleich verstörende und beruhigende Wirkung von Schweblins Erzählungen: Wir erleben darin, dass man jenseits des effektiven Pragmatismus unseres Alltags auch mit der Irrationalität ganz gut leben kann. Es gibt da einen sehr anziehenden Moment des Kontrollverlustes. Wenn man es einmal geschafft hat, sich darauf einzulassen, tritt eine ganz eigene Form von Entspannung ein.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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