Dieser Blick! Mal respektvoll, mal bewundernd. Oft in Richtung Mann. Bisweilen demütig. Könnt ihr denn nicht mal so hoppla-hier-bau-ich-gucken wie die Kerle? Aber möglicherweise würde das die Welt nicht besser machen.
Lilly Reich, eine namhafte deutsche Designerin der Moderne, himmelt also Ludwig Mies van der Rohe an. Beispielsweise am Wannsee in Berlin, 1933. Er ist der große Architekt, sie ist kongenial im Bespielen und Verdinglichen der Mies-Räume, dennoch wird man später selbst ihre eigenen Stahlrohrmöbel ihm allein zuschreiben.
Oder Marlene Moeschke-Poelzig, Bildhauerin und Architektin, die das gemeinsame Wohnhaus in Berlin Charlottenburg allein entwirft. Aus dem Bild, das sie später als einzige Frau neben Handwerkern und Ehemann Hans Poelzig beim Richtfest zeigt, wird sie für eine Fachzeitschrift herausretuschiert. Die Bierflaschen auf dem Tisch dürfen bleiben. Es ist ein männlicher Blick auf den Bau: Große Architekten (wie Poelzig und Mies), beherzte Handwerker und ein paar Flaschen im Mittelpunkt. Am Rande: ein Kleid, ein Blick. Am Rande auch: Frauen, die für Sekretärinnen gehalten werden. Frauen, die man Küchen entwerfen lässt. Frauen, die sich um Stoffe und Farben kümmern. Frauen sind für drinnen bestimmt. Männer für die Welt da draußen. Was für ein Irrsinn.
Claude-Nicolas Ledoux empfand den männlichen Entwerfer als der Architekt sei ein "Rivalen des Schöpfers"
Aber schon deshalb ist das ja auch die ideale Regieanweisung für jenes Kino, das ja auch immer eine Baukunst der Blicke ist. In diesem Fall geht es um die hinreißendste und selbstverständlich klischeehafteste Filmszene der gesamten Architekturgeschichte. Als Ende der Vierzigerjahre Ayn Rands Roman "The Fountainhead" mit Gary Cooper in der Hauptrolle verfilmt wurde, nahm sich Regisseur King Vidor die gerade königlich anmutende Freiheit, die Rollen dem gängigen Rollenbild jener Zeit anzuschmiegen. Im Buch ist eine Frau die wahre Utopistin, auch wenn sie keine Architektin ist. Aber am Ende des Films (deutscher Titel: "Ein Mann wie Sprengstoff") steht dann doch wieder der Architekt, Cooper, auf dem Hochhaus, das auch ein gigantischer Phallus sein könnte. Von unten heran fährt die Frau zu ihm nach oben im Lastenaufzug. Dieser Blick! Wie von einem Dackel.
Und er? Er ist Gott. Zu sehen ist diese Szene allerdings nicht in der Frankfurter Ausstellung "Frau Architekt". Sie fällt einem aber dort sogleich ein. Und vielleicht ist das ja auch schon ein großes Kompliment an eine kleine Ausstellung: Sie möchte mehr und größer sein. (Oder ist das jetzt ein männliches Missverständnis?)
Es war ein Architekt der Gegenwart, der Österreicher Hans Hollein, der ein Hochhaus in Form einer Erektion entwarf. Und es war ein Architekt des Klassizismus, der Franzose Claude-Nicolas Ledoux, der von seiner Zunft behauptete, (nur männliche) Architekten seien "Rivalen des Schöpfers". Irgendwo zwischen Klassizismus und Stahlbeton-Erektion muss sich eine maskulin geprägte Bauwelt verfestigt haben.
So ist es kein geringes Verdienst der Frankfurter Schau, mit einer etwas schüchternen, dabei im Kern umso bedeutungsvolleren Ausstellung nach dem Verbleib der Frauen zu fragen, die der Baugeschichte bis in die unmittelbare Gegenwart hinein verloren gegangen sind. Und auch heute noch verloren gehen.
Was verblüffend ist, denn es gibt beispielsweise in Deutschland (wo es eine auch im Weltmaßstab enorme Architekten-Dichte gibt) mehr Architektinnen als Architekten. Unter den Studierenden der entsprechenden Fachrichtungen sind schon seit einigen Jahren regelmäßig mehr Frauen als Männer. Und sie haben die besseren Noten und Abschlüsse. Rätselhaft ist es also, dass nach einer Erhebung der Bundesarchitektenkammer aus dem Jahr 2016 der Anteil von Frauen im Bereich freischaffender Hochbauarchitekten gerade einmal bei 22 Prozent liegt. Zudem belegt eine Statistik, die in The Architectural Review veröffentlicht wurde, dass Frauen in Architekturbüros bei gleicher Leistung im Schnitt 30 Prozent weniger verdienen als die männliche Konkurrenz. Auch schaffen es die Frauen nur äußerst selten an die Spitze der Büros. Zu schweigen vom wichtigsten Preis der Architektur, dem Pritzkerpreis, der seit bald vierzig Jahren jährlich verliehen wird. Ganze drei Mal konnte ihn bislang eine Frau erringen.
Die Ausstellung erzählt von der Divergenz zwischen den Geschlechtern am Bau in Form von 22 Porträts. Zu sehen sind Frauen, die die Architektur "maßgeblich beeinflusst haben oder sie ganz aktuell prägen". Letzteres wäre entschiedener zu beweisen - denn die Ausstellung verharrt allzu retrospektiv bei wenigen erfolgreichen Frauen. Diskutiert wird immerhin die Architektur von Almut Grüntuch-Ernst. Auch Gesine Weinmiller ist vertreten. Doch überwiegend beleuchtet die Ausstellung, kuratiert von Mary Pepchinski, Christina Budde und Wolfgang Voigt, die Historie: Margarete Schütte-Lihotzky, Iris Dullin-Grund oder Lucy Hillebrand. Dafür sind die biografischen Skizzen auch auf knappem Raum erhellend. Es fehlt zwar gelegentlich die nähere Betrachtung der spezifisch architektonischen Sichtweise, aber dafür wird oft anschaulich, warum man sich heute so gut an Mies und weniger gut an Reich erinnert. Warum Hans der einzige Poelzig zu sein scheint, während Marlene vergessen ist.
Versimpelt ließe sich erklären: Männer haben sich stets um ihre Bauwerke, das Büro und gerne auch um den Nachruhm gekümmert; Frauen aber hatten außerdem auch den Mann und die Kinder im Blick. Und haben sich möglicherweise auch selbst nicht ganz so wichtig genommen. Bis sich aber herumgesprochen haben wird, dass es keine weibliche oder männliche Architektur, sondern nur gutes und schlechtes Entwerfen und Bauen gibt, wird es noch lange dauern. Das Ziel ist dann erreicht, wenn man sich fragt, was so eine Ausstellung über "Frauen im Architektenberuf" eigentlich soll. Noch ist es nicht so weit. Und deshalb erzählt diese kleine, anregende und erhellende Ausstellung in all ihrer Schüchternheit zu Recht davon.
Frau Architekt. Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main. Bis 8. März. Katalog (316 Seiten, Wasmuth Verlag) 39 Euro in der Ausstellung. Informationen unter www.dam-online.de