Architektur:Behelfshäusl

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(Foto: G. Matzig)

Frauenkirche, Hofbräuhaus, Allianz Arena - die Liste der Münchner Sehenswürdigkeiten ist lang und altbekannt. Wer die Stadt wirklich gesehen haben will, sollte noch ganz woanders gewesen sein.

Von Gerhard Matzig

Auf dem Stadtportal Münchens werden zu den "Top 20 Sehenswürdigkeiten" gerechnet: Frauenkirche, Alter Peter, Hofbräuhaus, Allianz Arena, Alte Pinakothek, Neue Pinakothek, Allerneueste Pinakothek (der Moderne) . . . Alles gut, schön und sehenswürdig. Nur fehlt leider auf dieser Liste die, wie Pep Guardiola sagen würde, Toptoptop-Sehenswürdigkeit: die Augustenstraße 105.

Das ist ein Schwarzbau aus der Nachkriegszeit, zusammengezimmert aus Schutt, Asche und Überlebenswillen, der von so grandioser Hässlichkeit ist, die tatsächlich auch schon wieder sehr schön und jedenfalls absolut sehenswert ist. Es ist das letzte Behelfshäusl in der Maxvorstadt - bestehend aus zwei Ladeneinheiten zur Augustenstraße und zum Hof hin aus einem Wohngebäude, das eigentlich nur ein halbes Dach mit drei seltsam platzierten Beinahe-Schleppgauben in drei verschiedenen Größen ist. Das Schöne an diesem Ensemble: Diese Architektur ist eine der stadträumlichen und sozialräumlichen Identitätsstiftung. Wer das Spitzdachhaus sieht, der weiß, wo er ist in München. Es ist unverkennbar und einzigartig.

Was man von den Büros und Wohnungen, die statt des Kuriosums gebaut werden sollen, vermutlich eher nicht wird sagen können: Mutmaßlich werden die Büros wie Büros und die Wohnungen wie Wohnungen aussehen. Die Stadt will das zwar nicht, gut so, der Investor klagt aber dagegen. Schlecht. München wird immer austauschbarer und kraftloser in seiner Gestalt. Markante Bauten sind schon jetzt exotisch. Die Schönheit einer stadträumlichen Situation ist nicht das, was der Immobilienmarkt darunter versteht, sondern sie ist das, was sich unter besonderen Umständen aus Signifikanz, Patina und Baugeschichte zusammensetzt. Und aus den Menschen, die dort leben und arbeiten. Das ist eine Geschichtlichkeit, die mit viel Geld nicht zu kaufen ist. Erhaltet das Kuriosum: Es ist kein Kuriosum, sondern eine Sehens- und Liebenswürdigkeit, es ist München.

© SZ vom 31.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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