Angeben für Anfänger:Salz in unseren Lenden

Ein 16-Jähriger schreibt seine Memoiren, und Ricky Martin räumt mit dem Vorurteil auf, er sei heterosexuell. Da stimmt doch was nicht. Lernen Sie mitzureden über: Memoiren.

Ruth Schneeberger

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(Foto: REUTERS)

Ein 16-Jähriger schreibt seine Memoiren, und Ricky Martin räumt mit dem Vorurteil auf, er sei heterosexuell. Da stimmt doch was nicht. Lernen Sie mitzureden über: Memoiren. Was ist das? Das ist Justin Bieber. Justin ist 16 Jahre alt, kommt aus Kanada, und singt gerne vor Publikum. Er hat kürzlich angekündigt, er werde nun seine Memoiren schreiben. Wenn Ihnen weder der Name noch das Foto etwas sagen, schämen Sie sich bitte nicht! Sie sind vermutlich einfach nicht seine Zielgruppe. Wenn Sie nun denken, Memoiren, das war doch das, was alte Leute schreiben, dann benötigen Sie wohl eine kleine Auffrischung: Das Wort Memoiren hat seinen Ursprung im Französischen (memoire: schriftliche Darlegung, Denkschrift) und dem Lateinischen (memoria: Gedächtnis) und bezeichnet Denkwürdigkeiten oder Aufzeichnungen von selbsterlebten Begebenheiten. Memoiren sind eine Sonderform der Autobiographie, die weniger von der Identitätsfindung des Verfassers berichtet als vielmehr von seiner beruflichen Tätigkeit und seiner öffentlichen bedeutsamen Rolle als Politiker, Wissenschaftler oder Künstler. Memoiren berichten in der rückschauenden Perspektive auf historische Ereignisse und wichtige oder interessante Zeitgenossen. Das unterscheidet sie von anderen literarischen Gebrauchsformen wie Brief oder Tagebuch. Im Europa des 17. Jahrhunderts etwa waren es Angehörige des Hochadels, die von höfischen Intrigen und politischen Machtkämpfen zu berichten wussten. Reizvoll sind auch die Aufzeichnungen eines gewissen Giacomo Casanova aus Italien. Winston Churchill erhielt für seine sechsbändigen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg 1953 sogar den Nobelpreis für Literatur. Seit dem 20. Jahrhundert nehmen nun Erinnerungen von Künstlern und anderen Figuren des öffentlichen Interesses einen immer breiteren Raum ein. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung bildet nun also Justin Bieber. Wenn Sie nun einwenden möchten, dass ein 16-Jähriger erst mal erwachsen werden solle, um rückblickend über sein reichhaltiges Leben berichten zu können, dann sind Sie wohl einfach kein 14-jähriges Mädchen - und haben eben jenem Jungmusikanten nicht zu vier Millionen Facebook-Anhängern und seinem Status als jüngster Sänger mit einem Platz-1-Album in den USA seit Stevie Wonder verholfen. Text und Bildauswahl: Ruth Schneeberger/sueddeutsche.de/kar

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(Foto: DPA)

So machen Sie sich lächerlich: Glauben Sie bloß nicht, sie könnten mit Ihren nächtlichen Eroberungstouren durch die Eifel oder intimen Schilderungen Ihrer Jugendjahre ähnliche Begeisterungsstürme in der Öffentlichkeit auslösen wie ein Bieber. Wenn Sie gerade selbst vorhaben sollten, jetzt Ihre Memoiren zu veröffentlichen, sollten Sie größer planen. Da gäbe es zum Beispiel die Homepage www.memoirenwerkstatt.de, auf der Ihnen drei putzmuntere Autoren anbieten, Ihr Leben in einen größeren Zusammenhang zu stellen: "Das Salz des Lebens finden wir am ehesten in den alltäglichen Lebensgeschichten. Sie sind echt, ehrlich und g'radheraus. Deswegen sind sie uns die liebsten." Also, scheuen Sie sich nicht, der Öffentlichkeit davon zu berichten, wie das damals war, als Tante Helene mit dem bereits verheirateten und obendrein jüngeren Rolf gleich mehrere Male Kaffee trinken ging. Man wird Ihnen das Buch aus den Händen reißen. Darauf hofft übrigens auch Jack White, dessen Memoiren in den nächsten Tagen zu haben sein werden. Bei ihm heißen die Tanztee-Erinnerungen David Hasselhoff, Howard Carpendale und Hansi Hinterseer. Der 69-jährige deutsche Starproduzent nennt seine Erinnerungen "Mein unglaubliches Leben". Denken Sie vielleicht aber daran, dass nicht nur Fremde Ihr Buch lesen werden. Vielleicht sogar nur Bekannte. In Whites Fall hat sich nun schon die Ehefrau zu Wort gemeldet, weil ihr Gatte sie "mehr als 100 mal betrogen" habe. 

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(Foto: Reuters)

So schinden Sie Eindruck:  Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ricky Martin. Der räumt jetzt mal so richtig auf mit seinem Bild in der Öffentlichkeit. Es ist tatsächlich gar nicht so, dass Ricky Martin nicht schwul wäre. Er ist es nämlich doch. Und weil das keiner fassen kann, schildert der Popsänger jetzt mal, ungefähr zehn Jahre nach Ende seiner Popkarriere, alles ganz detailliert in seinen Memoiren mit Namen "Me". Warum ihm seine Berater damals geraten hätten, das nicht zuzugeben, um seine weiblichen Fans nicht zu verlieren. Ricky Martin, um das noch einmal in Erinnerung zu rufen, war Mitte der 90er Jahre mit dem Latino-Hit "Maria" bekannt geworden.   Und da glauben Sie, Sie könnten noch irgendjemanden schockieren, nachdem diese Lebensbeichte öffentlich wurde? Sie Dummerchen. Wenn Sie nicht gerade Brad Pitt heißen und in den nächsten Monaten verkünden werden, dass sie gar nicht auf Frauen stehen, dann halten Sie lieber Ihren Schnabel. Rein schriftlich gesehen. Nicht seine Memoiren zu schreiben, macht im Moment öffentlich mehr Eindruck als es zu tun. Weil es so selten geworden ist. Beim nächsten Date können Sie bestimmt damit punkten.

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(Foto: iStockphoto)

Zitieren Sie:  Winston Churchill, der während des Zweiten Weltkrieges in einem Zwiegepräches durchblicken haben lassen soll, dass die Geschichte durchaus freundlich von ihm zu berichten wissen werde, "weil ich sie zu schreiben beabsichtige." So und nicht anders wollen wir von Ihnen hören, dass Sie ihr Leben wie ein Regisseur in die Hand nehmen. Aber bitte schreiben Sie Ihr Lebens-Drehbuch für sich selbst. Und die Memoiren, die kommen dann, wenn Sie mit dem Leben so gut wie durch sind. Nicht vorher. Versprochen? Bis Donnerstag!

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