Amerikanische Literatur:Revolutionäre Krabben

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Ungeschliffen: John Fantes "Der Weg nach Los Angeles" wurde zu Lebzeiten des Autors nicht gedruckt. Jetzt gibt es das Buch zum Glück auf Deutsch.

Von Juliane Liebert

In John Fantes "Der Weg nach Los Angeles" geht erstmal niemand nach Los Angeles, am allerwenigsten Arturo Bandini, der Held des Romans. Arturo ist 18 Jahre alt, liest Nietzsche und Spengler, masturbiert in einem Kleiderschrank, geht seiner Mutter und seiner Schwester auf die Nerven und ist sonst nicht zu viel zu gebrauchen. Irgendwann nimmt er einen Job in einer Fischfabrik an, stinkt ein paar Kapitel lang bestialisch und macht sich dann aus dem Staub. Das Manuskript lag lange in John Fantes Schublade, nachdem der Verleger, der dem damals 25-jährigen Fante den Vorschuss dafür gezahlt hatte, es mit "ausgesprochen großer Enttäuschung" abgelehnt hatte - es sei "einer Publikation unwürdig". Erst 1985, nach dem Tod Fantes, der 1909 in Denver, Colorado geboren wurde und 1983 in Los Angeles starb, wurde es veröffentlicht. Jetzt erscheint es im Blumenbar Verlag auf deutsch — und was für ein wunderbares Buch es ist!

Am schönsten an dem Buch ist vielleicht, dass es auf charmante, empathische Weise amoralisch ist. Arturo, der Erzähler, verhält sich im besten wie im schlechtesten Sinn wie ein Kind. Er träumt, er schimpft auf "die Frauen", er quält Tiere, macht rassistische Sprüche — er ist allgemein zu jeder Ekelhaftigkeit bereit. Trotzdem ist das Buch nicht misogyn, rassistisch oder ekelhaft. Es wirkt nicht einmal ostentativ provokant oder albern, obwohl es auf permanente Übertreibung setzt. Nein, es erscheint einem fast behutsam und von aufrichtiger Liebe zum abseitigen Detail erfüllt. Und das nicht, weil es seinen Erzähler demaskieren würde, sondern weil dieser Erzähler selbst Kotzbrocken und lebenshungriger Liebender zugleich ist.

Dabei ist die Welterfahrung des Erzählers inmitten seiner Unterschichtswelt ganz ursprünglich romantisch: So extrem subjektiv, dass sich das Subjektiv schon wieder auflöst — Arturo steht im direkten Austausch mit der gesamten belebten Welt, mit Krabben und Bäumen. Er will alles riechen und schmecken, egal wie eklig es ist. Als würde er permanent die Grenzen seines Körpers und seines Ichs sprengen und in der Welt aufgehen wollen.

Einen großen Teil des vierten Kapitels bringt Arturo beispielsweise damit zu, hunderte von Krabben zu töten, die er unter einer Brücke gefunden hat. Er stellt sich dabei vor, er sei ein Held, die getöteten Krabben werden zu Revolutionären, eine besonders schöne Krabbe eine Prinzessin. Das Schauspiel ist gleichzeitig eklig und berührend, die Szene gewinnt ihre Stärke aus Gegensätzen. Sie ist ernsthaft aus Albernheit (bis zur Groteske) und zärtlich aus Grobheit.

Der Roman ist praktisch unlektoriert. Gut so!

Andere Kapitel gleiten in Allmachtsfantasien ab, in denen Arturo sich unwillentlich über sich und seine Helden - Nietzsche und Schopenhauer - lustig macht. "Nieder mit dem Bösen! Es lebe die Stärke! O Zarathustra, schenke deinen Weibern Schwäche! O Zarathustra, schenke deinen Männern Kraft! Nieder mit der Frau! Es lebe der Mann!" sagt er zu sich selbst, und setzt fort "Dann wurde mir das langweilig. Ich kam zum Schluss, dass ich womöglich nicht Schriftsteller, sondern Kunstmaler war." Solche Pointen unterlaufen Fante eher, als dass er sie setzt. Dabei wiederholt sich einiges, manchmal folgen seitenweise Beschimpfungen auf Selbstbeschimpfungen. Aber das kann man vernachlässigen, weil der Ton an sich so erfrischend ist; Fante so viele Grenzen überschreitet. Nicht aus Selbstzweck, sondern weil er nur so erzählen kann, was er zu erzählen hat.

Positiv fällt an der deutschen Fassung auch die Übersetzung auf: Das Buch liest sich auf deutsch sehr gut, überhaupt nicht gekünstelt, dabei ist es sicher nicht leicht, seinen Ton ins Deutsche zu bringen (zumal es ja nicht die heutige Straßensprache ist, die Arturo spricht, sondern die von vor achtzig Jahren). Der Roman ist praktisch unlektoriert, weil er zu Lebzeiten Fantes nie publiziert wurde. Einiges spricht dafür, dass das gut so ist. Ein Lektorat hätte ihm wohl den kindlich-kindischen Überschwang, die Beklopptheit bis zu einem gewissen Grad ausgetrieben, gerade indem ihm Wiederholungen und Brüche zum Opfer gefallen wären. Dass der Roman so oft abgelehnt wurde, zeigt, dass es solche Literatur zu Fantes Zeit nicht leichter hatte: Wichtige, großartige Texte, die aber teils bis zur Holprigkeit ungeschliffen sind, haben es immer schwer. Das gilt damals wie heute.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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