Amerikanische Literatur:In der warmen Damentoilette

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Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" soll ein feministischer Generationenroman sein.

Von Marie Schmidt

Die kulturell eingeübte Geschichte vom Generationenkonflikt spielt zwischen Männern. Sie handelt, um es grob zu verallgemeinern, davon, wie ein Jüngerer ein Idol in einem Älteren findet. Das kann der eigene Vater sein oder eine gewählte Vaterfigur. Der alte Mann lehrt den Jungen metaphorisch oder konkret das Jagen und das Kämpfen. Sie messen ihre Kräfte, zuerst spielerisch, bis der Jüngere irgendwann merkt, dass Waffen und Weltsicht des Älteren nicht mehr das Nonplusultra sind und er selbst Anführer werden will. In der unerbittlichen, psychoanalytischen Version bringt er den Älteren dann um die Ecke, der "Urvater" muss erschlagen werden. In der Hollywood-Fassung tut der alte Mann noch eine ewige Wahrheit kund, bevor er auf tragische oder bescheidene Weise dahinscheidet. Solche archetypischen Erzählungen von der Genealogie, der Weitergabe der praktischen oder intellektuellen Werte, gibt es über ältere und jüngere Frauen kaum. Die matrilineare Ordnung der Kultur hat mehr mit dem Nähren und Überwachen der Nachkommen zu tun, als mit dem Machtkampf und der Abgrenzung von den Vorfahren. Die amerikanische Schriftstellerin Meg Wolitzer versucht jetzt, diese Lücke zu füllen. Ihr Roman "Das weibliche Prinzip" ist eine epische Darstellung der verschiedenen Generationen des Feminismus, die man üblicherweise als "Wellen" bezeichnet. Damit scheint sie der Frauenbewegung sowohl Platz im Bereich der großen Erzählungen als auch im Bücherregal verschaffen zu wollen. Vor sechs Jahren hat Wolitzer in ihrem Essay "The Second Shelf" in der New York Times beklagt, dass Bücher von, über und für Frauen häufig in der Ecke für "Frauenliteratur" landen. Man erkenne sie an den harmlos bebilderten Einbänden und der vernünftigen Länge. Männer schrieben indes auch in Zeiten verkürzter Aufmerksamkeitsspanne, als flüstere ihnen jemand zu: "Aber sicher, Kumpel, verbreite dich so ausführlich du willst, setz dich einfach hin und tippe alle deine Gedanken über Amerika ab." Zwölf Romane hat Wolitzer selbst veröffentlicht, der erste der ins Deutsche übersetzt wurde war "Die Interessanten" (2014). Damit trat sie bereits den Gegenbeweis gegen ihre eigene These an: In signalbuntem Einband entwarf sie auf 600 Seiten ein Porträt der Generation derer, die in den Siebzigerjahren Teenager waren. Und heute lässt ein Blick ins Regal der Erfolgstitel der letzten Zeit - Donna Tartts "Distelfink", über 1000 Seiten, Hanya Yanagiharas "Ein wenig Leben", 960 Seiten, Juli Zehs "Unter Leuten", 640 Seiten - wenig Zweifel daran, dass sich seit Wolitzers Essay von 2012 etwas geändert hat. Das zeigt auch der Blick in die kommenden Verlagsprogramme. Weibliche Perspektiven sind unheimlich gefragt. "Das weibliche Prinzip" trifft zudem auf ein durch die Me Too-Bewegung schwer sensibilisiertes Publikum und findet beflissene Leser auch unter Männern. Sie treffen darin auf zwei Hauptpersonen, die sprechende Namen tragen und die zweite und dritte Welle der Frauenbewegung repräsentieren. Eine in den Sechzigerjahren im Kampf um das Recht auf Abtreibung politisierte Starfeministin heißt Faith Frank wie "aufrichtiger Glaube". In einer der ersten Szenen des Romans hält sie eine Rede an einem Provinz-College. Wolitzer schildert die Studenten dort als bis ins Erwachsenenalter hinein infantilisierte Söhne und Töchter der Mittelschicht, die sich in Kuschelklamotten in ihren Wohnheimen zusammenkauern. Unter ihnen auch Greer Kadetsky (dem Namen nach als Offiziersschülerin angelegt), die auf einer Party sexuell belästigt worden ist und erleben muss, dass die Hochschulleitung den Täter nicht des Campus verweist. "Unfair" findet Greer, und Wolitzer ergänzt: "Das Wort klang wie ein Vorwurf, den ein Kind seinen Eltern ins Gesicht brüllte." Die These, ihre Schüler wollten sich in ewiger Kindlichkeit gegen die Realität von Machtunterschieden verschanzen, bringen amerikanische Professoren häufig in Anschlag, wenn die Anhänger der "dritten Welle" der Emanzipationsbewegung "safe spaces" fordern. Nach der Veranstaltung sucht die jüngere Frau bei der Älteren Rat. "In der warmen Damentoilette" treffen sie sich zufällig, und ausgerechnet da springt der Funke über. Greer hat ihr Vorbild gefunden. Faith Frank empfiehlt, sich nicht zu sehr auf den Kampf gegen einzelne Idioten zu konzentrieren: "Wissen Sie, jenseits dieses Campus erstreckt sich eine ganze Welt, in der es viel zu sehen und auch vieles gibt, was Wut und Trauer weckt oder einen aktiv werden lässt. Sie sollten sich mal umschauen." Später verschafft sie der jungen Greer einen Job in ihrer Stiftung, die bedürftige Frauen unterstützt und große Konferenzen organisiert, zu wuchtigen Themen wie "Frauen und Macht". Als "Appetithäppchen" gibt es bei diesen Veranstaltungen kurze Reden gewöhnlicher Frauen, die Diskriminierung erfahren haben, und Greer wird die Ghostwriterin dieser Ansprachen. Sie übernimmt also in einem wörtlichen Sinne das feministische Projekt, den "Ungehörten eine Stimme zu geben". Es ist keine Stärke des Romans, dass Wolitzer die Figurenkonstellationen darin als prototypische konstruiert. Sie abstrahiert ihre Figuren und Verhältnisse direkt von real existierenden, und man kann nicht anders, als sie zu entschlüsseln: Faith Frank gleicht der Feministin Gloria Steinem, in Großbritannien könnte man an Germaine Greer denken, in Deutschland an Alice Schwarzer. Sie gründet die Zeitschrift Bloomer, die mit der Zeit ihr Publikum an die aggressivere Website "Femfatale" verliert, wie Steinems Magazin Ms. an Jezebel oder Schwarzers Emma an Edition F. Es gibt ein Theaterstück wie "Die Vagina-Monologe" und einen feministischen Hit wie Katy Perrys "Roar", mit dem sie Hillary Clintons Kampagne unterstützte. Durch die Schematisierung des Realitätsähnlichen kommt es aber gerade nicht zu der intendierten Verwandlung der jüngeren Geschichte, in der sich Frauen etwas von der Macht nahmen, in einen Mythos. Zumal Wolitzer in der zweiten Hälfte des Romans immer gröbere Sätze schreibt, als sei dies nur der Handlungsentwurf zu einem Buch, das noch geschrieben werden muss. So entsteht ein Abklatsch, der immer leicht daneben liegt. Zum Beispiel gibt es da einen George-Soros-haften Milliardär, der in Faith Franks Frauen-Stiftung investiert, weil sie einmal eine unvergessliche Nacht mit ihm verbracht hat. Es legt sich also gewissermaßen der Emanzipationskampf mit dem Kapital ins Bett und zeugt eine Erbschuld fort in die nächste Generation. Jahrzehnte später findet nämlich Greer Kadetsky heraus, dass der reiche Mann die Verwirklichung der guten Taten für benachteiligte Frauen böse vernachlässigt. Er wollte eben nur der eleganten feministischen Lady nahe sein und den Image-Gewinn der Philanthropie abgreifen. Das ist eine beinahe drollige Personalisierung der guten alten Haupt- und Nebenwidersprüche. In der Tat könnte man den Generationenkonflikt des Feminismus so zusammenfassen: Hatten die Feministinnen der zweiten Welle geglaubt, die Dynamik des kapitalistischen Individualismus für ihre Selbstverwirklichung nutzen zu können, müssen die Frauen der dritten Welle erkennen, dass frauenbewegter Idealismus leicht zur warenförmigen Kosmetik verkommt, die die Ungerechtigkeit der Gesellschaft gegenüber allen anderen als den fleißigen, weißen Mittelschichtsfrauen übertüncht. Ob es überhaupt wünschenswert ist, dass diese anstelle minder privilegierter Frauen die Stimme erheben, müsste sich die desillusionierte Greer Kadetsky sinnvollerweise fragen. Und in Wirklichkeit führen Feministinnen diese Debatte ja auch, wenn sie unter dem Stichwort "Intersektionalität" auf den Zusammenhang von sexistischer mit rassistischer Benachteiligung und mit ökonomischer Abhängigkeit aufmerksam machen. Vor dieser Konsequenz zuckt Meg Wolitzer aber zurück und scheint die Melancholie ihrer älteren Protagonistin für die haschischgeschwängerten Zeiten früher Schwesternschaft zu teilen. Greer allerdings bricht beleidigt mit der Älteren und wird mit einem Empowerment-Bestseller selbst zum Star. Im letzten Kapitel, das in der nahen Zukunft des Jahres 2019 unter der als "großes Grauen" chiffrierten Trump-Regierung spielt, trifft Greer auf ihre Nachfolgerin in der Generationenkette. Die gehört sozusagen zur vierten Welle oder zur Occupy-Generation, die Idole und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Autoritäten und Adepten grundsätzlich ablehnt: ",Wir haben es nicht nötig, Leute auf einen Sockel zu stellen', sagte sie. ,Jeder kann führen. Jeder kann das übernehmen.'" Die Angesprochene fühlt sich dadurch aber offenbar nicht infrage gestellt: "Greer hätte erwidern können: ,Ja, kenne ich alles. Das haben die Frauen damals in den Siebzigern auch schon gesagt, meint Faith.'" Was sich als Kampf zwischen Älteren und Jüngeren angelassen hat, versackt in matter Freundlichkeit. Alles ist schon dagewesen, jeder interessante Kampf wurde längst ausgefochten, was solls? Im Vergleich mit den weiblichen Generationenkonflikten der Wirklichkeit, wirken die Streitigkeiten der Heldinnen dieses Romans erstaunlich unproduktiv. Ausgerechnet 2018, im Jahr nach Me Too, in dem so etwas gefragt gewesen wäre wie nie, wird "Das weibliche Prinzip" also nicht das große Epos der Frauenbewegung gewesen sein, als das es antritt.

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