Album "Xscape" von Michael Jackson:Druckvolles Kieksen

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Tiefer gelegtes Rhythmus-Fundament: "Xscape" heißt das neue posthume Album von Michael Jackson. (Foto: Sony)

Als das erste posthume Album von Michael Jackson erschien, erfüllte es die schlimmsten Erwartungen: Seit der "King of Pop" tot ist, wird sein Mythos gewinnbringend gefleddert. Doch das zweite Album aus seinem Erbe ist verblüffend gut gelungen - dank eines Produzenten, der mehr ist als ein Nachlassverwalter.

Von Jens-Christian Rabe

Dass man das Vermächtnis Michael Jacksons nicht ruhen lassen, sondern bei nächster Gelegenheit versuchen würde, alles, was im Nachlass noch zu Geld zu machen ist, auch tatsächlich zu Geld zu machen - das war in der Sekunde der Nachricht seines Ablebens am 25. Juni 2009 klar. Zu viele Schulden schien sein eigenwilliger Lebensstil verursacht zu haben, zu viele Familienangehörige, Berater und vermeintliche Freunde witterten Profit. Es mussten und müssen immer noch ein paar Rechnungen beglichen werden.

Und knapp anderthalb Jahre später war es dann auch schon so weit: Das erste posthume Album mit dem Titel "Michael" erschien im Dezember 2010 - und erfüllte die schlimmsten Erwartungen. Bei mehr als einem Song hatte man den Eindruck, als singe da jemand, der so tut, als wäre er Michael Jackson. Kraftlos und läppisch kieksten und hachsten und fingerschippsten sich die zehn Songs so dahin.

Liebloser und unwürdiger ging es kaum. Und die penetranten Beteuerungen, das Album sei noch nach detaillierten Song-Skizzen und Notizen des Meisters selbst entstanden, wirkten angesichts des Ergebnisses wie blanker Hohn. Da wurde Michael Jacksons Mythos übel gefleddert (wobei er mindestens in den letzten zehn Jahren seines Lebens leider auch selbst heftig an seinem eigenen Denkmal herumgesägt hatte, aber das fällt noch unter Privatrecht) .

"Xscape" ist verblüffend gut

Wie traurig, dachte man, dass es offenbar niemanden auf dieser Welt gibt, der das verhindern konnte. Niemanden, der mit der gebührenden Demut und Sorgfalt das Erbe dieses so irrsinnig einflussreichen und begnadeten Sängers, Künstlers und Entertainers verwaltet. Die Ankündigung, man habe unveröffentlichtes Material des King of Pop im Schrank, das mindestens noch zehn Alben füllen könnte, klang unter diesen Bedingungen wie eine fürchterliche Drohung.

Aber was nicht verhindert werden kann, kann natürlich nicht verhindert werden. Schon gar nicht von uns, und wir müssen ja auch dauernd irgendwelche Rechnungen begleichen, also wenigstens den geschäftlichen Teil dieser Angelegenheit können wir durchaus auch nachvollziehen, wenn sich auch die Summen, von denen die Rede ist - seit 2009 soll das Jackson-Erbe um die 700 Millionen Dollar eingespielt haben - etwas jenseits dessen bewegen, was wir für unsere Rechnungen benötigen. Es erscheint also jetzt am Freitag "Xscape", das zweite Album aus dem Jackson-Nachlass, bei Sony. Und - es ist verblüffend gut.

Die acht Songs klingen, als hätten Familie und Plattenfirma aus dem "Michael"-Desaster tatsächlich Lehren gezogen. Was da nämlich vor allem fehlte, war eine tragfähige und vor allem zeitgemäße Sound-Vision für die unterschiedlich weit fortgeschrittenen Demos aus dem Nachlass. Mit anderen Worten: Es fehlte ein wirklich großer Produzent, der sich mehr traute, als ein musikalischer Nachlassverwalter zu sein. Also ein Kerl, der wirklich um die Größe Jacksons weiß, aber nicht vor Ehrfurcht erstarrt. Mit Tim Mosley alias Timbaland wurde er offenbar gefunden.

Ohne Zweifel sehr liebevoll produziert

Einige andere große Namen wie Rodney Jerkins oder das norwegische Produzenten-Team Stargate haben auch mitgearbeitet, aber Timbaland hatte glücklicherweise hörbar die Oberaufsicht. Mit "Love Never Felt so Good" geht es allerdings noch vergleichsweise orthodox los. Es ist eine klassische Jackson-Midtempo-Ballade, Streicherleim, Piano-Geklimper, aber ohne Zweifel sehr liebevoll produziert, so dass das typische Kieksen, Hachsen und Schnippsen plötzlich nicht mehr läppisch schlapp, sondern wirklich so druckvoll und unwiderstehlich präsent wirkt, wie man den Performer Jackson im Gedächtnis hat.

Schon das fabelhafte Bass-Knarzen auf dem zweiten Stück "Chicago" gibt dann aber mehr als eine Ahnung davon, was hier entscheidend war: Timbaland, einer der maßgeblichen Produzenten der Nullerjahre, in denen die Popmusik zur Bassmusik wurde, hat dieser Musik ein neues, deutlich tiefer gelegtes Rhythmus-Fundament verpasst, samt einiger seiner schwer drückenden Synthie-Breitseiten. Man höre nur "Slave To The Rhythm" oder "A Place With No Name", den vielleicht besten Song des Albums.

Fraglich, ob Jackson selbst je so weit gegangen wäre. Seinen schwebenden, leichtfüßigen Gesang auf so breite Beine zu stellen - das muss man auch erst mal wagen. Eine zwingendere Überführung dieser Musik in die Gegenwart ist allerdings kaum vorstellbar.

© SZ vom 08.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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