Man muss davon ausgehen, dass sich weder die Brüder Young noch Brian Johnson je mit Gertrude Stein beschäftigt haben. Dabei hat die amerikanische Schriftstellerin schon vor fast hundert Jahren notiert, wie das Werk von AC/DC funktioniert: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Oder um es in Anlehnung an einen klassischen AC/DC-Song zu sagen: Eine Rosie ist eine Rosie ist eine Rosie ist eine Rosie. Seit Jahrzehnten arbeitet die australische Band konsequent an der Reduktion ihrer Musik. Es geht nicht um Aussagen, es geht nicht um weitere Bedeutungen oder größere Zusammenhänge. Es geht nur um den Rock. Und er soll auf nichts anderes verweisen als auf sich selbst.
Auf dem letzten Album "Black Ice" von 2008 trugen drei Songs das Wort "Rock" im Titel, auf dem neuen Album "Rock Or Bust" sind es vier. Der Titelsong, dazu "Rock the Blues Away", "Got Some Rock & Roll Thunder" und "Rock the House". Gleich im ersten Lied singt Brian Johnson: "We be a guitar band / We play across the land / Shootin' out tonight / Gonna keep you up alright / You hear the guitar sound / Playin' nice and loud". Wir sind eine Gitarrenband. Und ihr hört die Gitarre. Schön laut. Das muss genügen. Das Albumcover zeigt einen Lautsprecher.
Natürlich, die Hits von AC/DC hießen vor 30 Jahren schon "Rock'n'Roll Damnation", "Let There Be Rock", "For Those About to Rock" und so weiter. Aber spätestens jetzt geht es endgültig um gar nichts anderes mehr. Was besungen wird, ist der Moment. Es wird hier und jetzt gerockt. Und weil gerade gerockt wird, rocken wir. Und weil wir rocken, rockt es. Ich rocke, du rockst, er sie es rockt.
Das Muster: Gitarrenriff, Gesang, Refrain, Feuer aus allen Rohren
Das gilt nicht nur für die Texte, sondern erst recht für die Musik. AC/DC waren nie eine variantenreiche Band, aber in früheren Jahrzehnten gab es auch langsame Lieder ("Ride On"), sehr schnelle ("Beating Around The Bush") oder amüsant zickige ("Big Balls"). In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich die fünf Männer auf ein solides Mitteltempo eingependelt, genau richtig, um in Fußballstadien von Sydney bis Buenos Aires über die Bühne zu stapfen, genau richtig, um als Fan dabei euphorisch mit dem Kopf zu nicken.
Das Konstruktionsprinzip bleibt immer dasselbe: erst der Gitarrenriff, dann der Gesang, dann beides, gern im Wechsel, Steigerung, Refrain, Feuer aus allen Rohren. Nach zweieinhalb Minuten Gitarrensolo. Herrlich!
Für die Struktur der Musik war vierzig Jahre lang Malcolm zuständig, der ältere der Young-Brüder. Seit einiger Zeit sitzt er zu Hause in Australien in einem Pflegeheim. Demenz. Für ihn sprang Neffe Stevie Young ein, die entscheidende Frage lautet: Merkt man es der Musik an? Die Antwort: im Großen und Ganzen nicht, in Details schon. Die Gitarren spielen öfter einfach das gleiche, wo sie einander früher ergänzten.