Alben der Woche:Die Wöd is' a Suppndopf!

Der Nino aus Wien hält die Underdog-Aura, Hayley Williams verarbeitet Ehe- und Alkoholprobleme. Und "In Extremo" gehen auf Lügenpack-Jagd - mit dem Dudelsack.

Der Nino aus Wien - "Ocker Mond" (Medienmanufaktur Wien / Rough Trade)

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(Foto: Medienmanufaktur Wien)

Der Nino aus Wien ist seit mittlerweile gut einem Jahrzehnt Speerspitze des großen Wien-Schmäh-Hypes, hat sich aber im Vergleich zum Stadionrock einer Band namens Wanda stets eine gewisse Underdog-Aura bewahrt. "Ocker Mond" zahlt darauf ein, ist ein reines Gitarre-Stimme-Album geworden und erinnert damit an die späten Nullerjahre, als er mit ungeschliffenen Demos im Stil des New Yorker Anti-Folk auf Myspace bekannt wurde. Und so verlieren sich die Songstrukturen wie im titelgebenden Opener manchmal einfach, weil ihm offenbar keine Strophe mehr eingefallen ist. Einige Nummern sind aber dann doch ziemlich famos: Etwa wenn er sich in die Rolle eines Taxifahrers begibt ("Taxi Driver"), der einem frühmorgens die komplette Biografie und 300 Lebensweisheiten (zum Beispiel: "Die Wöd is' a Suppndopf!") ins Hirn presst - und den betrunkenen Fahrgast für diese 20 Minuten Fahrzeit glauben lässt, in ihm einen neuen besten Freund gefunden zu haben. Und genau das ist dann auch der schöne, aber eben auch etwas flüchtige Eindruck, der dem Hörer nach "Ocker Mond" bleibt.

Serpentwithfeet - "Apparition" (Secretly Canadian)

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(Foto: N/A)

Neue Musik gibt es auch von Josiah Wise, der als Serpentwithfeet queere Lovesongs zwischen Gospel, Avantgarde und dunklen Elektro-Dramen schreibt. Nach seinem Debütalbum "Soil" (2018) veröffentlicht er nun die EP "Apparition" (Secretly Canadian): Die Texte sind theatralisch und bildstark wie in einem Dostojewski-Roman, thematisch aber näher an Frank Ocean, und die Musik freigeistig wie im kreativem New Yorker Underground, aus dem Wise hervorgegangen ist. Eine barocke Klaviermelodie trifft auf elektronische Ambient-Flächen und mittendrin zieht seine Flüsterstimme unvorhersehbare Kreise.

RAC - "Boy" (Counter Records)

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(Foto: N/A)

"BOY" (Counter Records) heißt das neue Album des US-Produzenten RAC. Einen Namen gemacht hat sich André Allen Anjos als Remix-Künstler: mehr als 200 hat er in den letzten zehn Jahren für Lana Del Rey, Two Door Cinema Club oder Phoenix gemacht. Nach dem lauten Power-Pop auf seiner letzten Platte, ist "BOY" ruhiger und reduzierter, immer noch gut gelaunt, aber mit mehr Gespür für Grooves und Elektronik. Dazu hört man souligen Popgesang von Jamie Lidell oder Phil Good. Auch wenn hier vieles ein wenig zu glattpoliert klingt, ist die Tatsache, dass in diesen fluffigen Dreiminütern die Welt auf so ungetrübte Weise in Ordnung scheint, auch wieder tröstlich.

Hayley Williams - "Petals for Armor" (Atlantic / Warner)

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(Foto: N/A)

Hayley Williams kennt man als Sängerin der amerikanischen Rock-Band Paramore. Nun erscheint mit "Petals for Armor" (Atlantic/Warner) ihr Solodebüt, auf dem sie, wie sie selbst in Interviews erzählt, ihren langen Weg aus einer unglücklichen Ehe und einem von Alkoholproblemen begleiteten Tour-Leben verarbeitet hat. Musikalisch bewegt sie sich weitab vom krachenden Gitarrensound ihrer Hauptband. "Petals For Armor" klingt nach einer Kreuzung aus glitzerndem Popmelodien, düster-verträumter Radiohead-Intimität und verschachtelten Elektro-Grooves. Dass Williams viel ausprobiert, ist die große Stärke der Platte: der mysteriös synkopierte Schauer einer nächtlichen Verfolgungsjagd in "Simmer", die an- und abschwellenden Synthesizer in "Leave It Alone", der funky Dance-Pop-Bass in "Dead Horse". Am besten ist "Roses/Lotus/Violet/Iris", ein anmutig hingetupfter Song mit Jazz-Drums und weich fließenden Gesangsharmonien, den sie zusammen mit dem Singer-Songwriter-Trio Boygenius eingespielt hat und der klingt, wie ein Blumengarten als Popsong: ätherisch und von ruhiger Erdhaftung.

In Extremo - "Kompass zur Sonne" (Vertigo / Universal)

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(Foto: Vertigo/ Universal Music)

"Lügenpack" ist natürlich ein Bisschen schwierig grad. Klar: Wirklich niemand mag Lügner. Aber der Begriff ist halt auch Standardglossar in der pferdeledergebundenen Mittelalterausgabe des großen Wutbürgerlexikons. Man zuckt da etwas zusammen. Dem nicht genauer bestimmten Pack werden auf dem neuen Album von In Extremo schließlich auch noch die Zungen abgeschnitten und das ist in seiner Gesamtästhetik dann vielleicht ein bisschen verdächtig. Andererseits reimt der Sänger, der sich selbst "Das Letzte Einhorn" nennt, aber auch: "Lügen-, Lügen-, Lügenpack / wir jagen euch mit dem Dudelsack". Und das steht in seiner ganzen Kinderreimhaftigkeit zwischen den ansonsten schwer fünftagebärtigen Texten und Gitarren und Schalmeiraubeinigkeiten so sehr quer, dass es die größeren Sorgen wohl auch wieder nimmt. Damit bleibt "Kompass zur Sonne" (Vertigo Berlin/Universal Music) vermutlich einfach ein sehr normales Mittelalter-Achtelrock-Album für Menschen, die mit schwieliger Seele Schiffe anschmachten, die "heftig" an rostigen Ketten zerren.

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