Alben der Woche:Kann Jarvis Cocker 70er-Softpornos vertonen?

Lesezeit: 3 min

Konziser Lebensentwurf bei konstantem Sturm im Innern: Lana Del Rey. (Foto: Neil Krug)

Und weitere Geschmacksfragen: Geht das, Bob Marley mit Tuba? Warum klingt Nick Cave, als hätte Disney+ Besitz von ihm ergriffen? Und was kann bei Lana Del Rey noch kommen?

Von den SZ-Popkritikern

(Foto: N/A)

Captain Yossarian - "Bob Marley in Dub" (Echo Beach)

Man hat ja jetzt manchmal wieder Zufallsbegegnungen, und zuletzt begegnete man also zufällig einem Mann, der einen ganz wunderbar sperrig in der Welt herumstehenden Boxenturm aufgebaut hatte: pyramidenförmig, breite Subwoofer unten, etwas schmaler im Mittelbau und ganz oben, als Hochtöner, ein immer noch fulminantes Lautsprecherhorn. Das alles in den Farben Lila und Gelb gestrichen. Man muss auf sehr warme Art lächeln, wenn man es sieht. Er könne diese Pyramide, erzählte der Mann, auf einem Anhänger herumziehen, es sei also ein komplett mobiles Soundsystem. Dann verschwand er hinter einem wenigstens im Vergleich zum Turm kleineren Kasten mit vielen Knöpfen und Reglern, an denen er schraubte und drehte und drückte, als suche er einen Radiosender vom Mars, und auf einmal erklang Bob Marley.

Genauer: Bob Marley mit lokalem Instrumentarium aus dem Münchner Umland gespielt. Und ab hier könnte es natürlich problematisch werden - ästhetisch, in Fragen der Attitüde, also bei all den Dingen, die gemeinhin unter Geschmackssicherheit laufen. Bob Marley mit Tuba und Akkordeon, da rechnet das Gehirn des Zynikers natürlich automatisch den Kuhstall-Unrat von vielen Wochen an nackte Füße. Man hat Marley in dieser Hinsicht seit seinem Tod viel angetan, und der Mann mit dem Boxenturm spielt, wie sich herausstellte, tatsächlich im Hauptberuf Schlagzeug bei LaBrassbanda. Manuel da Coll heißt er für seinen Briefträger. Als Soundsystem nennt er sich Captain Yossarian. Und was soll man sagen: Zyniker sind, mit Verlaub, widerliche Zeitgenossen.

Denn was Yossarian auf seinem gerade erschienenen Album "Bob Marley in Dub" (Echo Beach) macht und mittels Pyramiden-Soundsystem durch die Welt zieht, ist eine wirklich ganz famos spätherbstwarme musikalische Wohltat. Eine Hommage, klar, und ein bisschen Mimikry. Aber die Playbacks treiben auch irre smart, intuitiv und live steuerbar (die Knöpfe und Regler!) Hall- und Dub-satt durchs Weltall. Sehr elegant. Ganz souverän. Extrem würdig. Toll. Anspieltipps: "Three Little Birds", "Stir It Up" und "Exodus". Jakob Biazza

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Nick Cave & The Bad Seeds - "B-Sides & Rarities (Part II)" (BMG/Warner)

Was ist quasi das exakte Gegenteil von Bob-Marley-Tribute-Musik? Genau: Nick Cave & The Bad Seeds. Der dunkle Schmerzensfürst und sein Counterpart Warren Ellis, ein Mann, der in der Hauptsache aus Zauselbart und Geheimratsecken besteht und irgendwo dahinter einen genialischen Verstand für verzogene, beängstigende, wunderschöne Geisterklänge hat. Geschmackssicherheit ist hier die Grundlage für alles, deshalb brauchte man sich eigentlich nicht zu sorgen, ob auch "B-Sides & Rarities (Part II)" (BMG/Warner) vollgepackt sein wird mit lichtabsorbierenden Indie- und Alternative-Schönheiten. Eigentlich. Die Vorab-Singles beunruhigten schließlich ein bisschen. Zumindest die Live-Version von "Push The Sky Away", diesem im Original alle Leichtigkeit aus der Seele quetschenden Todesvermeidungssong, klingt, spätestens wenn das Melbourne Symphony Orchestra losschmiert, ein klein wenig, als habe Disney+ Besitz von Cave und Co. ergriffen. Beim Rest sieht es aber dann doch weitestgehend besser aus. Jakob Biazza

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Lana Del Rey - "Blue Banisters" (Universal)

Nur ein gutes halbes Jahr nach "Chemtrails Over The Country Club" kommt schon wieder ein neues Album von Lana Del Rey, dem nachtschattigen, schwermütigen Update der klassischen Beverly-Hills-Songschreiberin. Braucht man das? Und ob. "Blue Banisters" gibt in der Tat einige neue, bestechende Kommentare zu den großen Motiven, um die sich das Werk der Künstlerin dreht: Jugend, Rausch, Liebe, Freiheit, motorisierte Fortbewegung. Und natürlich Kalifornien. Insgesamt nicht ganz so durchgängig groß wie die vorangegangenen zwei Meisterstücke. Aber die Frage, was Lana Del Rey hier noch draufsetzen will, mag man wirklich nicht beantworten müssen. Joachim Hentschel

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Sly Alone - "Gesegnet" (Hayati Records)

Spätestens seit ihrem Album "Montenegro Zero" ist die Hamburger Rapperin Haiyti eine der sehr wenigen Verheißungen im deutschen Rap. Eine manische Arbeiterin, die dem Hip-Hop (und schon auch dem Pop) mit ihrer neon-grell gefauchten Stimme, den sehr stilsicheren Trap-Beats und ihren genau richtig verqueren Texten etwas bringt, das es hier sehr selten gibt: einen wirklich eigenen Kunstanspruch. Außerdem ist sie jetzt auch noch Labelbetreiberin, und auf diesem Label erscheint am Freitag das Album "Gesegnet" (Hayati Records) ihres Protegés Sly Alone. Anschmiegsame, watte-flauschige Trap-Beats zunächst, später dann zusätzlich ein paar fein winselnde Emo-Gitarren. Angenehmes Bild von Männlichkeit. In Summe etwas gewöhnlicher als das Zeug der Chefin. Aber was ist das nicht? Jakob Biazza

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Jarvis Cocker - "Chansons d'Ennui Tip-Top" (Universal)

Und damit noch zum schluffigsten Dandy Großbritanniens: Jarvis Cocker veröffentlicht an diesem Freitag "Chansons d'Ennui Tip-Top" (Universal), also endlich Musik, die in seinen Arbeiten mit Pulp oder zuletzt Chilly Gonzales eh schon immer anklang. Der Name sagt im Grunde alles: Neuinterpretationen von französischen Chansons, in traurig, ein bisschen verschroben und auch ein klein wenig sexy. Womit man hier verkünden kann: Jarvis Cocker klingt nun endlich komplett, als vertonte er (gute) Softpornos aus den 70ern. Jakob Biazza

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