Alben der Woche:Für eine kleine Dosis Club-Leichtigkeit

Die große Sehnsuchtsverkäuferin Kylie Minogue veröffentlicht ein Disco-Album, Fatboy Slim übernimmt die After-Hour. Dame Shirley Bassey widmet alles ihren Fans - und John Frusciante seiner Katze.

John Frusciante - "Maya" (Timesig)

1 / 5
(Foto: Timesig)

John Frusciantes oft großartige Solo-Alben waren viele Jahre lang so etwas wie die isolierten Gitarren- und Gesangsspuren der finstereren Songs seiner Hauptband: der Red Hot Chili Peppers. Und zwar, nachdem man sie durch die furchterregendsten Geisterbahnen der Welt gejagt und anschließend zur Beruhigung mit starker Säure frottiert hat. Dann fand der Gitarrist zum Electro. Unter dem Pseudonym Trickfinger produzierte er von Breakbeat, House und Jungle inspirierte Alben für Menschen, die weder Breakbeat noch Jungle und erst recht keinen House mögen. Eklektisches Zeug. Sehr verschroben. Aber unter all dem Geschwirr und Gewusel glimmen stets ein paar der schönsten Tonfolgen des wohl besessensten Instrumental-Melodie-Schreibers der Welt. Auf "Maya" (Timesig) macht er dasselbe, allerdings unter seinem richtigen Namen. Die Begründung ist schlicht, enthält Tiere und geht auch sonst ans Herz: Maya war seine kürzlich verstorbene Katze. Maya liebte Musik, und, so sagt es der Künstler, "weil der Titel so persönlich war, fühlte es sich irgendwie falsch an, mich Trickfinger zu nennen. Also ist das Album von John Frusciante."

Fat Boy Slim - "Back To Mine" (Back to Mine/Rough Trade)

2 / 5
(Foto: Back to Mine/Rough Trade)

Womöglich ist Fatboy Slim derzeit noch etwas mehr Großarchivar im riesigen Popfundus der Welt, als Produzent eigener Sachen. Zwei Songs hat er jedenfalls für "Back To Mine" (Back to Mine / Rough Trade) kreiert und denen fehlt es an überhaupt nichts. Die wirkliche Freude entwickelt die After-Hour-Compilation aber doch eher aus dem Material, das er ansonsten aus seiner recht sagenumwobenen Plattensammlung hervorgewühlt hat. Das "Pink Panther Theme" in der Version des Alan Tew Orchestra geht da in Eunice Collins' "At the Hotel" über. Jesus Jacksons souliges "Running on Sunshine" wird abgelöst vom punkigen Funk-Holperer "Kick Out the Chairs", den Munk & James Murphy klapprig und schief in die Ecke stellen. Dazu: das grandiose "Big Blow" von Manu Dibango neben Songs von Dr Rubberfunk, dem Biddu Orchestra, der Googie Rene Combo und Wilbert Harrison. Große Entdecker-Freude. Enormes Nerd-Glück.

Dame Shirley Bassey - "I Owe It All To You" (Decca/Universal Music)

3 / 5
(Foto: Decca/Universal Music)

Es gibt nur wenige Popstars, die sich so hartnäckig den Zeitströmungen widersetzt haben, wie Dame Shirley Bassey. Warum sollte sie sich auch aus den Sphären der Streicher- und Posaunenwolken in die Sümpfe der elektrischen Gitarren und singenden Rechenmaschinen begeben (abgesehen vom einmaligen Gastspiel bei den Propellerheads)? Da müsste sie am Ende noch eine Hose anziehen oder gar ein T-Shirt. Auch mit 83 Jahren wirkt sie immer noch, als sei sie schon im güldenen Paillettenkleid zur Welt gekommen. So klingt auch ihr neues Album "I owe it all to you" (Decca). Nur die ganz großen Gesten gibt es da, wie nun schon seit rund sechzig Jahren. Und dass sie die einzige ist, die gleich für drei James-Bond-Filme die Titelsongs singen durfte, ist für sie nicht eine Bürde der Vergangenheit, sondern ihr Markenzeichen. So falten sich ihre Songs immer noch auf wie Filme in Technicolor. In der Retrokultur des zeitgenössischen Pop fällt ja nichts mehr aus der Zeit. Dass ihre Stimme hie und da ein wenig Mühe hat, die ganz großen Bauschbögen zu vollziehen, spielt kaum eine Rolle. Es bleibt ja sonst alles wie immer. Das ist 2020 eine feine Sache.

Kylie Minogue - "Dicso" (Bmg Rights Management/Warner)

4 / 5
(Foto: Bmg Rights Management (Warner))

Die wohl größte Sehnsuchtsverkäuferin der Neunziger- und frühen Nullerjahre, Kylie Minogue, veröffentlicht am Freitag ein Disco-Album. Es heißt: "Disco" (BMG Rights Management/Warner). Es enthält: Disco. Und es besingt nichts anderes als das, was man in Discos womöglich noch auf Jahre nicht tun kann. Es ist also erneut enorm klug. Und darüber hinaus wirklich zum Clubhimmel-schreiend überproduziert, glitzernd, oberflächlich, in mehreren Schichten kandiert, in Zuckerstreuseln gewendet und anschließend flambiert. Ein paar Songs ("Dance Floor Darling" zum Beispiel, mit seinem grandios bekloppten Talk-Box-Solo) sind richtig gut. Viele richtig egal. Aber selbst die egalen Nummern lassen so sehr die Verheerungen spüren, die die Corona-Einschränkungen im Endorphin-Haushalt anrichten, dass man sie mögen und sogar ihre Texte ignorieren kann - alles für eine kleine Dosis Club-Leichtigkeit. Bis man die Texte doch wahrnimmt und realisiert, dass sie von einem Algorithmus stammen müssen, den man über Tage nur mit MDMA, Champagner und Smarties ernährt hat, um ihm dann zu sagen: "Und jetzt schreib auf, was du fühlst." Anders gesagt: Falls es demnächst keine Discos mehr gibt, weil die Menschen das Tanzen verlernt haben oder gleich das Ausgehen, dann werden Archäologen das Album womöglich ausgraben, auflegen und feststellen: So ging alles zu Ende.

5 / 5
(Foto: Charlie Gray)

Weitere Anspieltipps auf Kylies "Disco": "Say Something", "Last Chance" und "Supernova". Mehr Pop gibt es hier.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: