Alben der Woche:Glühwürmchen auf Acid

Singen gehört nicht gerade zu den Stärken der "Haiku Hands" - das macht aber nichts. Und die "Flaming Lips" haben den Drogen abgeschworen. Also, zumindest den richtigen. Angeblich.

Blitzen Trapper - "Holy Smokes Future Jokes" (Yep Roc/H'Art)

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(Foto: Yep Roc/H'Art)

Also, die Musik der amerikanischen Band Blitzen Trapper wird gemeinhin in die Schublade Alternative Folk-Rock sortiert. Und das kommt schon auch hin für das neue, zehnte Album "Holy Smokes Future Jokes" (Yep Roc/H'Art). Viele U-uhs und A-ahs sensibler Männerstimmen, gerne im Mehrspur-Unisono, schön verpatschte Seventies-Softrock-Trommelei, butterweiche Bässe und so weiter. Alles fein. Man kann aber auch einfach sagen, dass das Album der perfekte Soundtrack ist, wenn man mal in die Verlegenheit kommen sollte, an einem flirrend heißen Spätsommernachmittag in einem dieser grotesk großen alten amerikanischen Asphaltschlitten sitzen und in Zeitlupe rauchen zu müssen.

Delta Spirit - "What Is There" (New West Records)

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(Foto: Delta Spirit)

Delta Spirit haben Ende der Nullerjahre mit Americana-Musik geglänzt. Eine Band aus Kalifornien, die auch schon mal das Drama von Überlingen - dem Flugzeugabsturz über dem Bodensee und der Rache am Fluglotsen - in Dylan-Manier in einen Song gepackt hat ("Ballad Of Vitaly"). Dann haben sie die Mundharmonika und den Roots-Rock immer mehr abgelegt und ihren Sound mit Synthesizern aufgeblasen. Nach sechs Jahren Pause finden sie auf ihrem neuen Album "What Is There" (New West Records) jetzt einen Kompromiss. Der Sound verliert sich nicht mehr in bombastischem Hall, sondern klingt griffig und nach Rock'n'Roll. Nur manchmal wird zu viel gegniedelt mit den Gitarren - und sich am Falsettgesang vergangen.

Haiku Hands - "Haiku Hands" (Mad Decent/Caroline)

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(Foto: Haiku Hands)

Die Haiku Hands aus Australien gelten als Stimmungsgarant für jedes Festival. Schlechtes Timing, dass ihr selbstbetiteltes Debüt (Mad Decent/Caroline) jetzt inmitten der festivalfreien Pandemie erscheint. Ihre von Bass und Beat getriebene Mischung aus Hip-Hop, Elektro und Pop muss live erlebt werden! Nicht nur, weil die drei Frauen auf der Bühne Choreografien wie die Spice Girls und Energie wie die Beastie Boys haben, sondern weil ihr Gesang aus Slogan-Feuerwerken besteht ("Not About You"), bei denen man sofort mitschreien möchte. Und mitfluchen! Geflucht wird ordentlich. Deshalb fällt auch nicht auf, dass das Singen nicht die Stärke der Haiku Hands ist. Aber der ironische Knaller "Fashion Model Art" reißt es dann doch wieder raus.

Bumper - "Pop Songs 2020"

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(Foto: Bumper)

Ein weiteres von wahrscheinlich vielen Quarantäne-Projekten, die wir noch hören werden: Michelle Zauner von der wunderbaren Band Japanese Breakfast hat sich mit Ryan Galloway von der Indie-Rock-Band Crying zusammengetan und eine gemeinsame EP unter dem Namen Bumper veröffentlicht. Obwohl die beiden in New York nur drei Blocks voneinander entfernt wohnen, sind die vier Songs komplett über E-Mail entstanden. Auf der EP steht "Pop Songs 2020" und genau drin ist: verspielter Pop mit glitzernden, zuckrigen Melodien, der wie aus den späten Achtzigern ins Jetzt herübergeflogen klingt und auch als Soundtrack für einen Anime-Film durchgehen könnte. "Ballad 0" ist die rührendste Klavierballade seit Britney Spears' "Everytime", nur hier in der Indie-Version.

Flaming Lips - "American Head" (Bella Union)

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(Foto: Flaming Lips)

Was im Inneren des grauen Wuschelkopfs von Wayne Coyne so vor sich geht, will man vielleicht gar nicht so genau wissen. Hier nimmt der verspulte Psychedelic-Pop seiner Flaming Lips schließlich seinen Anfang. Vorweg: Coyne nimmt angeblich keine (richtigen) Drogen (mehr). Und es geht auf dem neuen Album "American Head" (Bella Union) auch gar nicht nur um Drogen. Es geht auch um Dinosaurier! Und darum, wie schön es wäre, wenn sie immer noch auf der Erde herumtollen würden. Und um Raumschiffe! Die eigentlich Glühwürmchen sind, aber auf Acid sehen sie aus wie kleine Raumschiffe. . . okay, es geht doch sehr viel um Drogen. Wobei die in Songs wie "Mother I've Taken LSD" als eher traurige Angelegenheit beschrieben werden ("Now I see the sadness in the world"). Den ein oder anderen Gag - muhende Kühe! - gibt's zwar und dann taucht öfter dieser irritierende Beat auf, der nach einem Morsecode klingt, aber ansonsten ist es ein über weite Strecken gar nicht schräges, sondern wunderschönes Album geworden, fein arrangiert mit Klavier, Streichern, Trompete und zwischendurch der Stimme von Country-Sängerin Kacey Musgraves (hach!). Anders gesagt: Die Flaming Lips sind nach fast 40 Jahren Bandgeschiche in bester Form.

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(Foto: dpa)

Hier nimmt der verspulte Psychedelic-Pop seiner Flaming Lips seinen Anfang: Inneren des grauen Wuschelkopfs von Wayne Coyne (Mitte). Mehr Pop auf sz.de gibt es hier.

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