Alben der Woche:Dem Teufel die Seele verkauft

Bushido therapiert sich selbst mit einem Trennungsalbum von Gangsterboss Abou-Chaker. Und Alt-j entdecken das neue Gefühl der Alltagsschwerwut.

Cher - "Dancing Queen" (Warner)

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(Foto: dpa)

Es kostet verdammt viel Kraft, um nicht an den pappigen Konservenstreichern kleben zu bleiben, die ihre Schlieren über den Refrain von "Dancing Queen" ziehen. Oder an den zuckerwattigen Kirmes-Synthies von "SOS". Oder der penetrant schmachtenden spanischen Gitarre von "Chiquitita". Kurz: Es braucht wirklich viel Willenskraft, um "Dancing Queen" (Warner), das neue Album von Cher, nicht für die absolute musikalische Hölle zu halten. Von ihrer Gastrolle als Großmutter im Abba-Filmmusical "Mamma Mia! Here We Go Again" war die Sängerin so angefixt, dass sie gleich ein ganzes Album mit Abba-Songs aufgenommen hat. Das Ergebnis ist nun hochartifizieller Reißbrett-Pop aus der Plastikfabrik. Einerseits. Andererseits sollte bitte niemand diese Frau unterschätzen, die im Jahr 1999 mit "Believe" den Pop beinahe eigenhändig aus dem alten Jahrtausend in die schöne neue Zukunft schubste. Cher ist keine plumpe Gemütlichkeitsnostalgikerin, die sich in der guten alten Abba-Zeit einrichtet. Weshalb sich auf "Dancing Queen" auch so herrlich die Zeitachsen verknotende Songs wie "Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)" finden. Der Bass dröhnt clubtauglich, die Melodie fiedelt davon, man denkt an Madonna, die diese Hookline ja für "Hung Up" klaute, aber dann kommt plötzlich die wabernde Autotune-Stimme von Cher und alles klingt gleichzeitig nach 1986, 1999, 2005 und 2018. Und das ist dann doch so dermaßen clever rückwärts durch die Zukunft in die Vergangenheit geschossen, dass dabei nur absolut gegenwärtiger Pop entstehen kann.

Alt-j - "Reduxer" (Infectious Music/BMG)

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(Foto: N/A)

Die ziemlich famose britische Indiefolk-Electropop-Band Alt-j hat sich einen Wunsch erfüllt und ihr im vergangenen Jahr erschienenes, drittes Studio-Album "Relaxer" von Hip-Hop-Produzenten auseinandernehmen und mit Hilfe von gefeierten Rappern wie Danny Brown, Pusha-T oder Little Simz neu zusammensetzen lassen. "Reduxer" (Infectious Music/BMG) heißt die Platte nun und der so irritierend ätherische wie zarte Alt-j-Sound ist immer noch gut zu erkennen, durch die Raps gewinnen Songs wie "3WW", "In Cold Blood" oder "Deadcrush" aber noch eine ganz eigene existenzielle Härte und Dringlichkeit. Anders gesagt: Zu diesem Alt-j-Album kann man seiner Alltagsschwermut jetzt auch gut hinterher wanken, wenn man noch etwas Wut im Bauch hat. Alltagsschwerwut.

Nile Rodgers & Chic - "It's About Time" (Virgin)

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(Foto: dpa)

Der Disco-Dancefloor als Ort, an dem man sich vor dem Wahnsinn der Welt in Sicherheit bringt. Was für eine schöne Idee. Lasst uns alle sehr viel Cola trinken und zu "Till the World Falls" die ganze Nacht nicht vom Zuckerrausch runterkommen! So eskapistisch und supersüß klingt - 41 Jahre nach dem ersten und 26 Jahre nach dem, wie man dachte, letzten Chic-Album - das neue Werk von Nile Rodgers. Der hat nicht nur "Let's Dance" (David Bowie) und "Like a Virgin" (Madonna) produziert, sondern mit seinem 1996 verstorbenen Chic-Partner Bernard Edwards in den 70ern einige ewig gültige New Yorker Party-Schlachtrufe ("Aaaahhh, freak out!") ersonnen. Zuletzt hat er zweimal den Krebs besiegt, und 2013 wurde "Get Lucky" von Daft Punk dank seiner legendären Zickezacke-Funk-Gitarre zum Hit. Hits gibt es auch auf "It's About Time" (Virgin), sie werden gesungen von Vic Mensa, Emeli Sandé, Elton John, Craig David oder Lady Gaga. Aber man darf natürlich keinen Vintage-Seventies-Sound erwarten. Rodgers mag heute Auto-Tune und den digitalen Studio-Rumms des dritten Jahrtausends, alles klingt sehr poliert und gebügelt. Aber das geht schon in Ordnung, denn immerhin eine richtige Perle ist auch dabei: das Instrumental "State of Mine". Opulent, orchestral, entspannt, träumerisch. Rodgers schlägt hier die Brücke vom Motown-Sound, aus dem heraus Disco erwuchs, ins Heute. Düdel-di-dü, das macht gute Laune, und bevor alles in "Love Boat"-Kitsch abdriftet, gibt es noch eine synthetisch kühl blubbernde Techno-Bassline. Bereit für den Nachtflug zu den Disco-Sternen? Wenn Eskapismus, dann jedenfalls so.

Viagra Boys - "Street Worms" (Year0001 Records)

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(Foto: N/A)

Das komplette neue Album "Street Worms" (Year0001 Records) der schwedischen Punkrock-Band mit dem angemessen lächerlichen Namen Viagra Boys muss man nicht unbedingt gehört haben. Aber das Video zur Single "Sports" ist schon schön. Sänger Sebastian Murphy stolpert darin mit Kabelmikrofon, Sonnenbrille, Trainingshose und nacktem, aber vollständig tätowierten Bierbauch, immer aggressiver von Volleyball und Dackeln grölend, über einen Tennisplatz in einer sehr aufgeräumten Halle - während ein Spiel eines motivierten jungen Ehepaars läuft. Und ab und an, trifft Murphy ein Ball, was er natürlich aber gar nicht merkt. Ach, der gute alte Punkrock und seine ewige Liebe zur grandios bescheuerten Metapher.

Bushido - "Mythos" (Ersguterjunge)

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(Foto: Ersguterjunge)

Bushido ist mit einem neuen Album zurück und selbstverständlich werden wieder alle Bastarde und Hyänen hart gefickt. Kein deutscher Gangsta-Rapper kann es sich erlauben, in der Hinsicht die Erwartungen der pubertären Stammhörerschaft auf den Pausenhöfen der Republik zu enttäuschen. Eigentlich aber ist es eine klassische Break-up-Platte. Bushido hat sich von seinem einst besten Kumpel und langjährigen Beschützer Arafat Abou-Chaker getrennt, dem Chef des bei der Berliner Staatsanwaltschaft, Abteilung Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, bestens bekannten "Abou-Chaker-Clans" (Bastarde ficken ist ein Geschäft, bei dem man besser auch ein paar fiese Kerle auf seiner Seite hat). Vor bedeutungsschwer getragenem Pianogeklimper und schleppenden Beats von der Gangsta-Rap-Stange legt sich Bushido also etwa in "Mephisto" bei sich selbst auf die Couch und berichtet, wie es kam, dass er dem Teufel seine Seele verkaufte. Auf die Selbsttherapie folgt nach den ewigen Regeln des Break-up-Albums die große Selbstfeier, die Bushido in seinem typischen Gaga-Aggro-Stakkato absolviert: "Ich bin der Typ der hier seit 20 Jahren den Laden schmeißt/ Braungebrannt, AfD, Carmen Geiss/ Alles Bullshit, RTL, Kabel eins/ Schwarzes Geld, Ware heiß, Atemnot, Fahrenheit/ Geht mal Eure niedlichen Schecks einlösen, meine Vita respekteinflößend". Die Botschaft der Platte ist am Ende trotzdem klar: Dieser Mann weiß jetzt, was er an seiner Frau, seinen Kindern und den echten Freunden hat. Er ist älter und klüger geworden. Deshalb hat er sich jetzt ja auch, wie er im großen Interview im aktuellen Stern erzählt, mit dem Berliner "Remmo-Clan" zusammengetan. Laut der Berliner Staatsanwaltschaft, Abteilung Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, ist der noch einmal deutlich größer und mächtiger als die Abou-Chakers.

Yumi Zouma - "EP III" (Cascine)

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(Foto: N/A)

Noch ein paar neue Indiepop-Synthie-Wölkchen braucht natürlich kein Mensch. Aber wenn sie einen so schwerelos federnd umfangen wie "Crush (It's Late, Just Stay)" oder "In Camera" vom neuen Album "EP III" (Cascine) der neuseeländischen Band Yumi Zouma, dann kann man auch nichts machen, dann fühlt sich das alles plötzlich wie ein einziger sonniger Sonntagnachmittag an, an dem man nur noch doller dösen will.

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