Aktionskunst:Sie sind nicht mehr da

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Die umstrittene Aktion "Flüchtlinge fressen" des Zentrums für politische Schönheit in Berlin ging zu Ende. Sie war ein Erfolg.

Von Jens Bisky

Was empört ihr euch so über die Vorstellung, Freiwillige würden sich in der Mitte Berlins von Tigern fressen lassen, während ihr auf die Tausenden Toten, die auf der Flucht über das Mittelmeer unfreiwillig ertrinken, mit den Verarbeitungsroutinen geübter Nachrichtenkonsumenten reagiert? Das war eine der Fragen, die das Zentrum für politische Schönheit mit seiner vierzehntägigen Inszenierung "Flüchtlinge fressen" (SZ vom 17. Juni) provozierte. Am Dienstagabend endete die Aktion vor dem Maxim-Gorki-Theater. Das Fenster zur Arena mit den vier wahrhaft schönen Tigern wurde verschlossen, vor dem Theatereingang deklamierte die libanesisch-syrische Schauspielerin May Skaf einen "Brief der Tiger an die menschliche Bevölkerung". Solch Pathos, verstärkt durch den Zweiklang von arabischer Rezitation und deutscher Übersetzung, ist selten auf den Bühnen im Lande: "Wir verlassen die Arena erhobenen Hauptes, aber voller Verzweiflung. Es wäre falsch, etwas im Theater zu Ende zu bringen, das noch lange nicht zu Ende ist. Wir werden nicht Teil eurer Logik des Tötens sein."

Die Aktivisten des Zentrums hatten alles dafür vorbereitet, am Dienstag in Berlin-Tegel 100 Flüchtlinge zu empfangen, mit Air Berlin sollten sie aus der Türkei eintreffen und hier ihre Familien und Freunde wiedersehen. Angemeldet waren sie als Statisten. Die Fluggesellschaft hat den Vertrag kurzfristig gekündigt: wegen Sicherheitsbedenken und weil sie sich getäuscht sah. Dass der Paragraf 63 des Aufenthaltsgesetzes - "Pflichten der Beförderungsunternehmer" - eine sichere Reise der Kriegsflüchtlinge nach Deutschland verhindere, sie auf das Mittelmeer, in den wahrscheinlichen Tod treibe, hatten die Aktivisten stets behauptet. Ihre Inszenierung sollte die Abschaffung des Beförderungsverbotes bewirken. Aber im Bundestag fand sich am vergangenen Freitag dafür keine Mehrheit. Nun will das Zentrum für politische Schönheit die Bundesregierung verklagen.

Aktionskunst, die sich an die Geschäftsbedingungen und den Amtsweg hält, ist belanglos

Man hat "Flüchtlinge fressen" oft Zynismus vorgeworfen; das Bundesinnenministerium redet von "geschmacklos" und einer Instrumentalisierung der Flüchtlinge. Große Worte, gleichsam als Planen wirft man sie über Probleme, die man nicht so genau betrachten will. Die Aktion, ein Appell an Empathie und Imagination, war ein Erfolg. Sie organisierte Aufmerksamkeit, verbaute, so gut es geht, den Ausweg in die Gleichgültigkeit. Aktionskunst, die sich an die allgemeinen Geschäftsbedingungen und den Amtsweg hält, ist belanglos. Die Frage, ob Moral ihre Ausdehnung unbeschadet übersteht, ob unser Mitleid nur den nahen oder auch den Unglücklichen in der Ferne zukommt, ist seit Diderot, Adam Smith und Rousseau ein ewiges Thema der europäischen Geistesgeschichte.

Die Aktion lebte von groben Ungenauigkeiten im Symbolischen. Vor Publikum und Kameras von Tigern zerrissen zu werden, ist doch etwas anderes als das Ersaufen in der Einsamkeit des Meeres. "Flüchtlinge fressen" machte aufmerksam auf einen dauernden Skandal der Gegenwart, auf Massensterben, das zu verhindern wäre. Die allabendliche Show am Tigerkäfig zelebrierte zugleich eine merkwürdige Vorstellung von Politik, als ginge es nicht um Mehrheitsbeschaffung, um Abwägen und das Austragen von Konflikten, sondern allein darum, eine hartherzige Exekutive zu Akten der Humanität zu überreden. In der Show herrschte ein klares Freund-Feind-Denken. Immerhin wurde danach stets in den Garten des Theaters geladen und im "Salon zur letzten Schönheit" diskutiert. Zum Abschluss sprach der Aktivist Yasser Alaamoun mit Flüchtlingen, einer der vielen Berliner Helfer im Publikum berichtete über tatsächliche Erfahrungen, Streit ums Deutschlernen, Hass auf Christen und Schwule, den Willen zur Hilfe. Dann übernahm Philipp Ruch, der Meister des Zentrums für politische Schönheit: Deutschland habe sich als "Unrechtsstaat" erwiesen. Jetzt müsse das Publikum etwas tun.

Es ist leichter, die Schwächen der Aktion aufzuzählen, als das Thema, den alltäglichen Tod vor unserer Haustür, intelligent und wirksam zu behandeln.

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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