Ai Weiwei ist jetzt auch Sänger:Für die Kerkermeister

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Ai Weiwei hat einen Rocksong aufgenommen, mit dem er seine 81-tägige Haft von 2011 aufarbeitet. Er wolle auch an alle anderen politischen Häftlinge in China erinnern, sagt der chinesische Kunststar. Denn: "Meine Stimme ist wieder da."

Von Kai Strittmatter, Peking

"So", sagt Ai Weiwei: "Und jetzt müssen sie sich das anhören." Die, die ihn eingesperrt haben. "Meine Stimme mag nicht perfekt sein, sie mag nicht angenehm klingen. Ich gestehe, ich hatte große Scheu anfangs. Aber es ist eine Stimme und sie ist nun draußen in der Welt."

Seit Mittwoch ist der Pekinger Künstler Ai Weiwei auch noch Sänger. "Die Mächtigen haben uns immer gezwungen, ihrer Stimme zu lauschen", sagt er bei einem Gespräch in seinem Studio in dem Künstlerviertel Caochangdi in Peking. "Und die meiste Zeit war sie alles andere als angenehm, es war eine Stimme des Hasses."

Ai Weiwei goes Heavy Metal. So war das angekündigt worden. Das Stück, das am Mittwoch vorgestellt wurde, ist nun nicht unbedingt Heavy Metal, es ist eher den schrägen Sprechgesängen des Liedermachers und Ai-Weiwei-Freundes Zuoxiao Zuzhou nachmodelliert.

Zuzhou, der das Stück produzierte, findet, Ai Weiwei und Rockmusik, das passe hervorragend: "Ai Weiwei ist direkt, authentisch und geboren für die Bühne." Für ihn sei die Arbeit an dem Lied "Therapie" gewesen, sagt der 55-jährige Ai Weiwei. Er versuchte sich damit am Exorzismus seiner 81-tägigen Haft im Jahr 2011. Damals warf die Polizei den Künstler, der sich stets auch als Aktivist verstand, wegen angeblicher Steuervergehen in Einzelhaft. "Am schlimmsten war, als sie mir sagten, ich würde meinen kleinen Jungen für viele Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen."

Für das Musikvideo baute Ai Weiwei in seinem Studio die Arrestzelle nach. Jeden Quadratzentimeter habe er sich eingeprägt, sagt er, selbst die Tapete sei die gleiche, und die Uniform der beiden Wärter, die nie mehr als 80 Zentimeter von ihm entfernt standen, egal, ob er schlief, duschte oder auf der Toilette saß.

Titel mit "Arschloch" noch höflich übersetzt

Er wolle an all die anderen erinnern, die noch immer in solchen Zellen einsitzen, sagt Ai Weiwei. Diesen Monat erst erklärte John Kamm von der Duihua-Stiftung in den USA, die Zahl der politischen Häftlinge in China sei so hoch wie nie in der Reform-Ära. Ai Weiweis Zelle war dabei vergleichsweise komfortabel.

Die Musik des Liedes ist von Zuoxiao Zuzhou, den Text schrieb Ai Weiwei selbst. der Liedtitel ist mit "Arschloch" noch höflich übersetzt, und die Verse sind von solcher Deftigkeit, dass Kollegen der angelsächsischen Rundfunkanstalten im Garten von Ai Weiweis Studio etwas ratlos miteinander konferierten.

"Ich glaube, wenn wir uns an unsere hausinternen Regeln halten, dürfen wir nur das 'lalalalala' senden", sagte einer. Nicht nur das System kriegt im Lied sein Fett ab, sondern auch die Intellektuellen und Künstler, die sich mit ihm arrangiert haben. "Scheiß aufs Vergeben, verflucht sei die Toleranz, zur Hölle mit den Manieren, das Pack ist unbesiegbar", brüllt Ai Weiwei. Und: "Steh' ganz vorne wie ein Arschloch, in einem Land, das auf den Strich geht." Ai Weiwei sagt, noch bei seiner Freilassung hätten die Polizisten ihm gedroht, sie könnten ihn jederzeit wieder mitnehmen. "Und dann lassen wir dich nie mehr gehen." Diese Narbe, sagt er, die werde man nicht mehr los.

Gefilmt hat das Video Christopher Doyle, Kameramann von Regisseuren wie Wong Kar-wei und Jim Jarmusch. Es taucht auch in die Fantasien der Wärter ein. "Irgendwann flüsterten meine Aufpasser mir zu: 'Kannst Du ein Lied für uns singen?'", erzählt Ai Weiwei. Sie fragten ihn, wie denn die westlichen Frauen so seien. "Für mich waren das die ersten Zeichen von Menschlichkeit. Von Leben."

Dem Lied wird in einem Monat ein Album folgen. "Göttliche Komödie" soll es heißen. Davor stellt Ai Weiwei noch im deutschen Pavillon der Biennale von Venedig aus. Hinfahren kann er nicht, die Behörden verweigern ihm den Pass. Immerhin: Sein Haus kann er mittlerweile verlassen, auch wenn ihm die Schatten von der Staatssicherheit nicht von der Seite weichen.

Noch immer schirmt Peking das Volk vor Ai Weiweis Werken und Gedanken ab: Seine Blogs, Tweets und Videos erreichen nur die kleine Minderheit, die Chinas große Firewall zu untertunneln weiß. "Vielleicht 0,00001 Prozent der Leute hier werden überhaupt erfahren, dass dieses Lied existiert", sagt Ai Weiwei. "Ihnen sei es gewidmet." Er macht eine Pause. "Ich lebe. Ich kann noch immer zornig sein. Ich bin zufrieden. Meine Stimme ist wieder da."

© SZ vom 23.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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